Parade der Junggenies

„Junge Choreografen“ bei der Noverre-Gesellschaft

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Stuttgart, 25/05/2005

Im siebenundvierzigsten(!) Jahr ihrer Existenz kann die Veranstaltungsreihe „Junge Choreografen“ der Stuttgarter Noverre-Gesellschaft getrost für sich den Titel einer Messe für den Nachwuchs beanspruchen. EINER Messe? Nein, es ist eindeutig DER Hauptumschlagplatz. Denn inzwischen veranstaltet jede Ballettkompanie, die halbwegs auf sich hält, einmal pro Jahr eine Matinee, bei der ihre Tänzer als Lehrlinge des choreografischen Handwerks debütieren dürfen. Dabei handelt es sich freilich zumeist um Mitglieder des eigenen Ensembles. Stuttgart hingegen kann es sich leisten, auch auswärtige Gäste einzuladen. Und so kommt die namentliche Eintragung in die Annalen der Stuttgarter Freunde des Balletts dem Fußabdruck der Stars auf dem Hollywood-Boulevard vor Grauman‘s Chinese Theatre gleich.

Diesmal waren es bei der Vorstellung im Schauspielhaus sage und schreibe dreizehn choreografische Junggenies, die den Abend (also nicht bloß eine Matinee-Nische) bestritten. Und wenn ich richtig gezählt habe, vertraten sie nicht weniger als neun Nationen! Nun wird niemand, der halbwegs bei Verstand ist, behaupten, dass wir bei dieser Gelegenheit dreizehn Meisterwerke zu sehen bekommen haben. Das war auch in keiner der früheren Veranstaltungen der Fall. Immerhin waren doch ein paar darunter, deren Autoren man gern in Zukunft wiederbegegnen möchte. Zum Beispiel Bridget Breiner, deren „In the Kitchen“ für Jessica Truesdale und Sébastien Galtier eine Küchenschmonzette erwarten ließ (gibt es in Analogie zum Küchenlatein so etwas wie eine Küchenchoreografie?) – deren laokoonhafte, hochintelligente Köperverknotungen indessen, wenn schon Küche, dann aus der Gourmetküche des Nederlands Dans Theaters inspiriert schien.

Oder der Italiener Simone Pulga, der mit seinem Duo „Blue to Yellow“ für sich und Sabrina Russo, für das er selbst auch die sanft dahinwogende Musik komponiert hat, sein ausgeprägtes Flair für tänzerische Kantabilität bewies – kein Wunder, da er ja aus Mailand kommt, wo ihm sozusagen die Essenz der Belcanto injiziert wurde. Bedenkt man die rein probentechnischen Schwierigkeiten, die bei solchen Kreationen neben dem normal weiterlaufenden Betrieb unvermeidlich auftreten, wundert es nicht, dass die meisten der gezeigten Arbeiten Duos waren (sieben von dreizehn). Doch waren alle bemüht, eben nicht bloße Pas de deux abzuliefern, sondern Miniballette à deux, indem sie sich etwa wie Sebastian Geiger und Ann-Kathrin Adam eng an die Musik hielten (in ihrem Fall Bach), oder sich mehr oder weniger von ihren Tänzern (oder auch nicht) inspirieren ließen wie Eric Gauthier in seiner „Lebenszeit“ für Katja Wünsche und Jason Reilly (dürfen wir hinter der Widmung „Für Giora“ einen Abschiedsgruß an Giora Manor vermuten, der ein großer Freund des Stuttgarter Balletts und seiner Tänzer war?).

Weniger konnte ich mich für die doch allzu große Distanz von Ignacio Martinez‘ „gestern noch, EXTENDED“ zu Bachs „Goldberg Variationen“ begeistern (und schon gar nicht für seinen Text aus Soderberghs Film „Solaris“). Wie man denn überhaupt sich nur darüber wundern konnte, was manche unserer Junggenies dem Publikum zumuten, wenn sie ihr Stück wie Stephen Delattre „Clépsydre“ betiteln – oder sollte das irgendeine Ursprache für „Klapsmühle“ sein? Da helfen dann auch die originellen Kostüme von Cindy Schmitthansler nicht – und auch nicht die famose Stuttgarter Neun-Tänzer-Equipe (und auch nicht der von einem Luftgeist versprühte Goldstaub).

Eine der Gruppenarbeiten lieferte auch Sarah Grether mit „Make me sway“ ab, eine Hip-Party für Marijn Rademaker nebst seinen Stuttgarter Kollegen, nicht ganz so hip wie weiland Forsythes „Love Songs“ (und leider, in schlechter Stuttgarter Manier, mit viel überflüssigem Gebrabbel). Richtig froh war man dann, dass Ivo van Zwieten seinen Rachmaninow-Pas-de-six schlicht „6“ nannte, in dem die drei Paare die Musik in lauter klassische Symmetrien (ohne Textkrücken) auflösten. Schön wäre es, wenn sich die Veranstalter dazu entschließen könnten, während der Umbaupausen nicht gar so mit der Beleuchtung zu knausern, dass man wenigstens die – wenn auch zumeist unverständlichen – Titel der Stücke und die Namen der Beteiligten lesen könnte.

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