Vexierspiel
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Am Ende triumphiert die Ratlosigkeit. Das Opfer, ein junger Mann im Slip, sitzt allein an der Rampe. Alle, die ihn gut 60 Minuten lang traktiert, umhergeschliffen, geschunden, verrenkt, mit einer Frau zwangsvereingt und dabei fast zu Tode gebracht haben, verlassen einzeln den Ort des Grauens, als wäre ein normaler Vorgang beendet. Lediglich eine Frau hatte ihn eine Zeitlang in verzweifelter Umklammerung trösten wollen. Derweil sich sechs Akteure bereits verbeugen, versucht das Opfer noch immer mit seiner Situation fertig zu werden. Erdbeercreme wurde gegenständlich zwar nicht verabreicht, dennoch pendelt „Strawberry Cream and Gunpowder“ symbolisch zwischen der Banalität des Alltags und einem perfiden Gewaltparkett, wie es die Abendnachrichten präsentieren. Um so mehr tut sich dieser Gegensatz in einem Land wie Israel auf, aus dem die junge Choreografin Yasmeen Godder und ihre Gruppe Bloody Bench Players kommen.
Stehende Bilder wie verlebendigte Fotos bilden den Ausgangspunkt dieses Abends im HAU 2. Auf einer mit Bahnen braunen Linoleums in Parkettmuster ausgelegten Szene beißt sich eine Frau in die Hand, als wolle sie ihren Schrei ersticken – ein stücklang wiederkehrendes Motiv. Kopfüber wird ein Toter wie eine Trophäe vorgeführt, andere legen blicklos ihre Hand vor die Augen oder stopfen sie dem Nachbarn in den Mund. Allmählich verfließen die Bilder, überlagern sich, wird die Opfer-Täter-Konstellation unscharf. Immer schneller, mit Transporten, rüden Hebungen und Schleifungen, folgen einander die Momentaufnahmen körperlicher Züchtigung. Die Ohnmacht der Opfer, ihre Ungläubigkeit, Wehr- und Willenlosigkeit prallt an der Gleichgültigkeit der Täter ab. Auch solidarische Opferpartnerschaften können die tollwütig eskalierende Gewalt nicht stoppen. Die latente Bedrohung deformiert die Gestalten zu Tretobjekten und hündisch kriechenden Wesen, denen die live über sie hereinbrechenden Gitarrenakkorde wie Elektroschocks das Rückgrat biegen. Die aus der Norm geratene Persönlichkeit scheint zum menschlichen Maß geworden. Bisweilen gerinnt die motorisch selbstlaufende Aktion wieder in Posen der Dumpfheit: Beten, Schießen, Außer-sich-Sein, Angstzittern mit irrem Lachen.
Godder reduziert den Menschen auf die Essenz seiner Instinkte, ohne ihn als grundböse zu denunzieren. Spiel und Ernst, Gitarre und Gewehr bleiben Umkehrpunkte steter Schwingung. Für diese Gratwanderung der Gefühle findet sie berührende, einprägsame, bewegte Bilder. „Traumatisierte Körper“ thematisieren titelgemäß auch die übrigen Gastspiele der zweiten Ausgabe von CONTEXT. Die „Plattform für zeitgenössischen Tanz“ offeriert noch bis 27. Februar Veranstaltungen in allen drei Häusern des Hebbel am Ufer: weitere Choreografien von Yasmeen Godder, des Libanesen Rabih Mroué, des Kanadiers Dave St. Pierre, der Skandinavierin Mette Ingvartsen sowie verschiedene Lectures.
Hebbel am Ufer, www.hebbel-theater.de
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