Qualität und Nachhaltigkeit
Die Ballettwoche 2006 mündet in eine Forsythe-Ausstellung
Drei Uraufführungen von Davide Bombana, Michael Simon und Jacopo Godani beim Bayerischen Staatsballett
Bei den Uraufführungen geht der Münchner Ballettchef Ivan Liška zunehmend einen anderen Weg als die übrigen großen deutschen Ballettkompanien. Während sein Stuttgarter Kollege Anderson die schnelle, technikorientierte Moderne bevorzugt und die Vorherrschaft des Tanzes nie in Frage stellt, während in Hamburg John Neumeier keine anderen Götter neben sich duldet und Berlin unter Malakhov bis jetzt keine erkennbare Linie entwickelt hat, favorisiert Liška ganz im Stil des Pariser Opernballetts eine extreme Avantgarde als Gegensatz zu den großen Klassikerproduktionen, also auch Tanztheater und experimentelle Richtungen. Anders als in Hamburg oder Stuttgart überlebt allerdings kaum eine dieser Neukreationen im Repertoire.
Klassiker dürften auch die drei halbstündigen Werke kaum werden, die jetzt zur Eröffnung der Münchner Ballettwoche uraufgeführt wurden – zwischen hektischer Neoklassik und der totalen Tanzverweigerung gab es im Nationaltheater das, was man „einen interessanten Abend“ nennt: risikoreich und lobenswert, aber hinter all der modernen, mit viel Multimedia-Aufwand hergestellten Fassade seltsam leer.
Der Italiener Davide Bombana war Tänzer beim Bayerischen Staatsballett, bevor er zu choreografieren begann. Sein „Century Rolls“ zum gleichnamigen Klavierkonzert des Minimalisten John Adams greift Balanchines abstrakte Klassik auf, aber ohne dessen Sinn für klare Strukturen, es arbeitet mit Forsythe-Bewegungen, aber ohne deren vorwärtsweisende Vision. Es gibt zwei größere Pas de deux, dazwischen rauscht das Corps de ballet eindrucksvoll rein und raus; in den bonbongrellen Trikots von Stephen Galloway bleibt der Eindruck einer großen, ziellosen Hektik, von der man sich durch die faszinierenden Videoprojektionen Chris Zieglers gerne ablenken lässt. Die elegante Lucia Lacarra und der sprungstarke Alen Bottaini bestechen durch die persönliche Energie, die sie in die klassisch grundierte, keinerlei Persönlichkeitsstil verratende Tanzsprache Bombanas einbringen.
Michael Simon ist eigentlich Bühnenbildner und hat sich als Forsythe-Ausstatter wie als avantgardistischer Schauspiel- und Opernregisseur einen Namen gemacht. Von ihm stammen nicht nur die monumental-abstrakten Bühnenbilder für alle drei Werke des Abends, sondern er hat auch das mittlere Stück – nun ja, das Wort „choreografiert“ ist wirklich zu viel der Ehre. Simon hat eine Bewegungsregie entworfen, die sich mühelos auch mit Schauspielern verwirklichen ließe, was die Leistung der vier Staatsballett-Tänzer als schrille Performer gewiss nicht schmälern soll, ganz im Gegenteil. In ordentlich durchnummerierten Szenen, unter riesigen, ständig bewegten Projektionswänden wird bei „In the Country of Last Things“ ein Autounfall zig-mal nachgestellt, dazwischen streiten sich zwei Ehepaare auf dem Sofa oder im Bett, gehen sich an die Gurgel. Zur rätselhaften, großartigen Musik von Heiner Goebbels („Surrogate Cities“) stellt Simon Gesellschaftsklischees nach, multipliziert sie und kippt sie samt dem zugehörigen Zimmer in Schräglage. Seine Männer sind Prolls, seine Frauen sind Schicksen, und seine Zuschauer sind ratlos.
Auch bei Jacopo Godani triumphiert das visuelle Spektakel über den Tanz, obwohl in seinem Stück „Elemental“ kräftig getanzt wird (im verwässerten Forsythe-Stil, wie auch anders). Der italienische Choreograf, auch er ein alter Bekannter in München, übertreibt es mit dem futuristischen Gigantismus von Licht, Video und wummerndem Soundtrack, dazu ertönt auch noch ein mystisch-moralischer Text. Auf eine durchfurchte weiße Wand, die am Schluss von den Tänzern eingerissen wird, projiziert einer von ihnen Licht- und Videoflächen, indem er wie ein übernatürlicher Comic-Held einfach die Hand ausstreckt. Mit viel „ssswusch“ und anderen Comicgeräuschen schiebt er Projektionen und Tänzergruppen herum, verwandelt Neongrün in graues Rauschen, einmal erscheint gar ein muskelbepackter Arm wie beim grünen Hulk. Mit der bewundernswert exakt auf die Klangkulisse von Godani und der experimentellen Gruppe 48nord abgestimmten Ausführung durch die 14 Tänzer sieht das Stück aus wie ein auf die Bühne transferierter Videoclip. Der Ironiegehalt des Ganzen ist vermutlich kleiner als man denkt, und bis hin zu den fahlen Regentropfen am Schluss überdecken die faszinierenden Bilder die Tatsache, dass der Tanz hier eher Beiwerk ist, ein illustrierendes Element von vielen.
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