Leidenschaft und Menschlichkeit
Die israelische Kamea Dance Company ist erstmals zu Gast in München
Applaus bei der Eröffnungsansprache der diesjährigen Geraer Ballett-Tage für Inge Berg-Peters: Sie, die langjährige Direktorin der Compagnie, hatte vor 28 Jahren initiiert, was nun unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten als Internationales Tanz-Festival Thüringen das Kulturleben bereichert. Bilden Gastspiele den Kern dieses einzigen, kontinuierlich stattfindenden Festivals seiner Art in den neuen Bundesländern, so leitet traditionsgemäß die gastgebende Compagnie das Fest mit einer Premiere ein.
Carl Orffs „Carmina burana“ hatte sich Hauschoreograf Peter Werner-Ranke, Tänzer einst bei Inge Berg-Peters und längst selbst eine Institution des Geraer Balletts, diesmal für seine fast zwanzigste Kreation ausgesucht. Mit Ausschnitten aus Orffs „Trionfi di Afrodite“ als Prolog weitete er die Gesänge nach mittelalterlichen Texten aus dem bayerischen Kloster Benediktbeuren zum eindreiviertelstündigen Abend aus.
Vorhanglos gewährt die Bühne im Kultur- und Kongreßzentrum Gera, Ausweichspielstätte bis zur Fertigrekonstruktion des angestammten Theaters, Einblick in den säulenbestandenen Kreuzgang einer Klosterruine. Links weist ein riesiger Goldapfel auf das Hauptthema menschlichen Strebens hin: die Liebe mit ihren Verführungen, Erfüllungen, Widrigkeiten. In die Bodenprojektion jenes Schicksalsrads der Glücksgöttin Fortuna, das als Skizze den originalen Texthandschriften beigefügt ist, versammeln sich Engel, Teufelin, Tod, Zeit, Gerechtigkeit und rotschöpfige Wollust, als begänne ein mittelalterlich belehrendes Mysterienspektakel.
Narr, Schwan, Burschen und Mädchen brechen ein – alle mit dem verheißenden Apfel in der Hand. Daraus entwickelt sich das Auf und Ab der Geschlechter. Noch suchen Frau und Mann einander, muss die Teufelin das Mädchen in die Geheimnisse ihres Körpers einweihen, entdecken Burschenpaare verunsichert gemeinsame Zärtlichkeit. Das Mädchen zieht allenfalls als Vision künftiger Erfahrungen vorüber. Als die Wollust sie genauer unterweist, bleibt der Tod allgegenwärtig, küsst sie zu Boden, bis der Engel sie mitleidvoll belebt: Liebe zwischen Erotik und Endlichkeit. Mutiger bereits heben die Frauen mit Blick auf die Männer ihre Röcke.
Diesem ersten Teil mangelt es trotz gelungener Szenen am großen Atem eines klammernden dramaturgischen Entwurfs. Spannungsarm und etwas bieder reihen sich die Teile, ohne zum packenden Gesamtbild zu werden. Peter Werner-Ranke lässt ausgiebig und gut tanzen, teils auf Spitze, doch gebremst wie hinter einem Schleier, und tut sich schwer mit der bühnenfüllenden Form. Der Wucht der Chöre hält seine filigrane Erfindung nicht stand, weil sie auf die Einzelbewegung setzt, statt das Ganze im Auge zu behalten.
Erst im Teil nach der Pause kommt er auch inszenatorisch in die Gänge. Der Tod zieht da langsam sein Narrenschiff über die Szene, lagert es als Pendant des Goldapfels ab. Was Martin Svobodnik mit hervorbrechender Persönlichkeit im Solo des Trunkenen leistet, bodenakrobatisch bis an seine Grenze, reißt endlich mit. Auch Vitalij Petrov hat, von Fackelträgerinnen effektvoll beleuchtet, als schwarzer Schwan seine virtuos flatternde Variation. Alina Dogodina, das erfahrende Mädchen, schmiegt sich wohlig den Rundungen einer weißen Plastik an, wie Männer unter einem Tuch sie bilden, provoziert biegsam ihren Auserwählten Eduard Taranu. Nach flink kämpferischem Gegenüber finden beide und die übrigen Paare zu friedvoller Hingabe. In ihrem Rad fährt als Busenwunder mit Pfauenkopfschmuck Fortuna heraus, drunter lauert schon der Tod.
Es mag auch dem wenig theatertauglichen Interimsraum geschuldet sein, dass sich das Bühnengeschehen dem Auditorium unterkühlt mitteilt. Rundum gut anzuschauen sind die 22 jungen Tänzer. Bis 13. Mai können sie sich mit dem Russischen Nationalballett Moskau („Schwanensee“), der Schweizer Compagnie Flamencos en route und der Staatlichen Ballettschule Berlin („Giselle“, „Die roten Schuhe“) messen. Für Ballettdirektor Wolfgang Ranke sind diese 28. Ballett-Tage gleichsam sein furioses Finale: Ab der neuen Saison wird ihm Ivaylo Iliev, Erster Ballettmeister der Oper Leipzig, als Leiter nachfolgen.
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