Tanzstadt Bremen!
Hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion „RÄUME FÜR DEN TANZ“ will das Feuer für den Tanz in Bremen neu schüren
„Rondofinale“ von Urs Dietrich und „Impressit“ von Rodolpho Leonie
Leidenschaft, Wut, Verzweiflung, Zärtlichkeit, Resignation – das ganze Kaleidoskop, wie es eine geschüttelte Beziehung hervorbringt, seziert Urs Dietrich präzis wie mit dem Skalpell in den knapp 30 Minuten seines „Rondofinale“. Zu Beginn Essensgeräusche und Gespräch in fremden Sprachen – zwei schwarz gekleidete Gestalten liegen waagerecht auf Hockern an den Schmalseiten eines langen schwarzen Tisches, während auf einer Leinwand im Hintergrund das Bild einer Überwachungskamera sichtbar ist, sie taucht immer mal wieder auf.
Dann entwickelt sich das Geschehen über minimale Zuckungen der Finger, Umklappen der Hände, Schieben, Reißen, Drücken, Schneiden, ausholende Armbewegungen, dann wie Wischen über die Tischfläche, die kurz geentert wird, in die Bühnenfläche vor dem Tisch. Dahinter verschwindet sie, während er sich an die Längsseite setzt und auf die Leinwand blickt, auf der sie im Film kopfüber mit nackten Schultern erscheint. Ihr Gesicht scheint mimisch auf seine Worte, per Lautsprecher eingespielt, zu reagieren. Sie taucht derweil real unter dem Tisch hervor, beginnt ihn zu liebkosen, was sich zu vielfältigen Berührungen mit sehr schnellen Wechseln ausweitet. Jetzt spielt Gabriel Faurés Klavierquartett Nr.1 op.15 hinein, in einer historisch verrauschten Aufnahme, aus ferner Zeit, 1935 in Frankreich aufgenommen (unter anderem mit dem Pianisten Robert Casadesus).
Später sitzt er mit nacktem Oberkörper filmisch auf der Leinwand und frisst wie ein Schwein in sich hinein, sie legt sich mit offenen Beinen zu ihm und nach hintern hängendem Kopf auf den Tisch, als böte sie sich ihm an. Der genau getimten Choreographie verleihen die zierliche Sunju Kim und der kompakte Miroslaw Zydowicz beklemmende Präsens und erotische Intensität. Dietrich bricht den Ablauf mit einer eingebauten Probe, bei der sich das Paar verständigt, wie es schwierige Passagen einer komplexen Folge anpackt. „Beine hoch, hier durch“, sagt sie zu ihm. Dann spulen sie den Part flüssig ab. Wie es sich für ein Rondo gehört, werden Motive wiederholt, wenn auch in anderer Perspektive. Und ein Mal parallel auf der Bühne schwarze Kleidung – und auf der Leinwand (in weiß), auf der jedoch nur Ausschnitte zu sehen sind. Dann stemmt er sie vor sich hoch, die Musik wird leiser und leiser.
Dietrich tariert die Dauer exakt aus, hört auf, bevor der Spannungsbogen durchhängt. Ein kleines, feines Meisterwerk mit Saft und Kraft. Urs Dietrich zeigt die Kunst der dramatischen Verdichtung. „Das hat mich berührt“, sagt meine Nachbarin. Mich auch.
„Impressit“ von Rodolpho Leonie – fast eine Stunde lang – will den energetischen Bewegungsabdruck im Bühnenraum, der aus sich selbst heraus entsteht und sich fortsetzt, der nichts bedeutet außer der Bewegung. So weit, so abstrakt. Dass dennoch im ersten Teil aus dem Zusammentreffen zweier, dreier Tänzer*innen, die sich mit viel Geschwindigkeit umeinander, miteinander wenden, drehen, verhaken, wieder lösen, am Boden und aufrecht, dass daraus dennoch Ausdruck entsteht, scheint mir unvermeidlich – ähnlich wie bei Merce Cunninghams Choreographien. Allein die sehr unterschiedlichen Tänzer*innen färben die Abläufe der Begegnungen individuell und lassen Stimmungen entstehen, die über die reine Form hinausgehen. Die rasanten Soli, Duos und Trios bereiten dem Ensemble keine technischen Probleme auf der bis zur Brandmauer aufgerissenen Bühne des Schauspielhauses, die gespickt ist mit emporragenden Stangenbündeln. So geht es fort und fort im ständigen Wechsel der auf- und abgehenden Tänzer*innen. Durchaus unterhaltsam, teils gar mitreißend, bis zum Einschnitt, mit dem alle elf gemeinsam sich im Hintergrund versammeln. Jede(r) tritt nun vor, liefert ein Solo ab, offenbar weitgehend selbst gestaltet. Das zieht sich hin ohne jeden Zusammenhalt – und berührt überhaupt nicht. Und verliert jeden Kontakt zur Musik von Philipp Ludwig Stangl. Sie baut sich aus mehreren Schichten allmählich auf bis zu Schlagzeuggewittern und jazzigen Sequenzen mit Emotion.
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