Mozart tanzt
„Amadeus“ von Jaroslaw Jurasz in Halberstadt
Düsteres Gerank schwebt an gebauschtem Tüll über dem Proszenium, ein kahler Baum rechts dörrt vor sich hin, der schwarze Kandelaber links verströmt nicht wirklich Licht. Kordula Stövesands Bühne bereitet auf die dunklen Geschehnisse vor, mit denen das Halberstädter Ballett im 60. Jahr seines Bestehens die Besucher in Bann schlägt. Nach „Gefährliche Liebschaften“ als subtilem Psychodrama und der prallen Jugendproblematik „Metall“ hat sich Jaroslaw Jurasz erneut einem emotionsträchtigen Stoff zugewandt. Die Figur des Dracula beschäftigt den Ballettchef des Nordharzer Städtebundtheaters seit langem. Zweieinhalb Stunden lang entrollt sich, durch eine Pause getrennt, der Bilderbogen vom blutrünstigen Monster, das eigentlich ein tief verletzter Liebender ist. Bram Stokers Roman von 1897 als literarische Basis fußt auf der historischen Gestalt des Vlad Dracul, eines transsylvanischen Fürsten, der im Kampf gegen die Türken durch Grausamkeit brillierte und dafür erschlagen wurde.
Zerfurcht und bärtig geistert die Projektion seines Gesichts über eine Kurtine, „Ich entsage Gott“ und „Im Anfang war das Blut“ schleudert er im eingeblendeten, 1462 datierten Textauszug der Welt entgegen. Zwei der Gründe, weshalb er als Untoter sein Dasein fristen muss, sich intensiv den Film und nun auch die Tanzbühne erobern durfte. Am Anfang des Balletts stehen jedoch freudigere Ereignisse: Vier Säkula nach Drakulas Fluch feiert in London Lucy Verlöbnis mit Lord Arthur. Jonathan, ihrer Freundin Mina versprochen, geht danach auf Geschäftsreise nach jenem Transsylvanien, ein Medaillon seiner Geliebten im Gepäck. Dem Choreografen gibt dieses Bild Anlass zu einer Folge zeremonieller Duos und Trios mit Flirts und Liebeleien von britischer Steifheit. Videos einer Fahrt mit der Harzer Schmalspurbahn durch verschneite Landschaft bebildern Jonathans Reise in die rumänischen Karpaten.
Dort trifft er auf das knorrig schräge Hutzelhaus, in dem Dracula residiert. Bauern in einem wiegenden, folkloristisch getönten Angstreigen mit symbolhaft gekreuzten Armen warnen den Neugierigen vorm Eintritt. Als der Graf würdevoll in wallendem Mantel auftaucht, verwandelt sich die Butze in ein spinnenverwebtes Zimmer mit Draculas Sarg als Festtafel. In Minas Medaillonbildnis vermeint der Graf seine verlorene Frau zu erkennen, beißt den Fremden blutig, arretiert ihn und macht sich auf nach London. Im dramatisch sich zuspitzenden Zusammenprall ist der Choreograf ganz in seinem Element, schürt Situationen bis zum Höhepunkt, zeugt Stimmungen, weiß Akzente zu setzen: etwa wenn Arthur durch einen von Irrlichtern und Gestalten wabernden Wald eilt, zwei weibliche Vampire den Ankömmling erotisch bedrängen, dieser mit Dracula ringt.
Ein Schiff mit dunkler Takelage bringt den jung gezauberten Vampir nach London, wo er im Getriebe am Kai Mina entdeckt. Mit einarmigen Hebungen umwirbt er sie, versagt sich heldenhaft den Liebesbiss. Dafür wird Lucy in einem virtuos enthemmten, athletisch showhaften Sprung-Fang-Wurf-Duett sein nächtliches Blutopfer. Ihrer infizierten Beißwut bei Tag ist nur mit dem Christenkreuz beizukommen. In einem raumgreifenden Pas de deux gestehen sich Mina und Dracula vor besonnter Takelage ihre Liebe. Jonathan, zwischen Schwert und Kerzenleuchter dämmernd, gelingt unterdes die Flucht. Auf einen Brief hin reist Mina seiner Errettung und der Hochzeit entgegen; Dracula tötet aus Verzweiflung Lucy, ehe ihn daheim sein Schicksal ereilt: Die Rächergemeinschaft der Überlebenden besiegt ihn mit Kreuz, Schwert und Holzpfählen, Mina selbst gibt ihm den Liebestod.
Mit wie viel tänzerischem Anspruch und darstellerischem Einsatz sich Jurasz als Dracula und seine acht Ensemblemitglieder dem Stück entgegenwerfen, nötigt Respekt ab. Eine Musikcollage aus Enescu, Reger, Wieniawski und Woicech Kilar schafft den atmosphärisch treffenden Klangraum. Wenn ein Zuviel an Grimasse speziell bei Jurasz und Gabriella Gilardi als seiner so waghalsigen wie spitzensicheren Duettpartnerin Lucy bisweilen das Groteske streift, dann trifft das vielleicht ja doch den Grundton eines Stoffes, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt
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