„Tanz schafft Räume“
Tanzplattform 2024 in Freiburg eröffnet
Ein Gespräch mit der Stuttgarter Kuratorin und Dramaturgin Bettina Milz
Die Stuttgarter Dramaturgin Bettina Milz gehört gemeinsam mit Madeline Ritter und Gerald Siegmund zu den drei Kuratoren der Tanzplattform und hat zusammen mit Claudia Bauer und Meinrad Huber die Projektleitung inne.
Tanznetz: Die Tanzplattform ist „ein internationaler Branchentreff“ - was darf man sich darunter vorstellen?
Bettina Milz: Die Tanzplattform ist über zehn Jahre gewachsen und hat damals als ein Branchentreff, so eine Art Markt angefangen, wo Produktionen und Künstler vorgestellt wurden und wo man versucht hat, eine Generation von Choreografen nach Pina Bausch, nach Susanne Linke, Reinhild Hoffmann oder Gerhard Bohner ins Ausland zu bringen. Denn die waren in der Zeit als Kulturbotschafter für Deutschland eigentlich schon ganz gut unterwegs, auch übers Goethe-Institut. Die jüngere Generation aber tat sich schwerer, und daraus entstand dann 1994 die Idee der Tanzplattform - auch als Vorwettbewerb für den internationalen Choreografie-Wettbewerb in Bagnolet, auf den damals an die 20 Tanzplattformen in der ganzen Welt hingearbeitet haben.
Wie waren die früheren Tanzplattformen, was ist in Stuttgart anders als bei den vergangenen Veranstaltungen?
Wir haben jetzt in Stuttgart eigentlich eine besondere Situation - wir haben einerseits immer noch diesen Markt-Anteil, aber es sind jetzt nur noch abendfüllende Werke. Damals waren es auch viele Shortcuts und Ausschnitte. Diese Entwicklung der letzten Jahre, dass es wirklich ganze Stücke sind, finde ich sehr gut, denn damit kommt man eigentlich immer mehr von dem Markt-Charakter weg. Was in Stuttgart neu ist, einfach durch die großen Säle im Theaterhaus: es ist wirklich auch ein Publikumsfestival. Wir haben ein so tanzbegeistertes Publikum in Stuttgart, und wir sind fast ausverkauft.
An welche Personen richtet sich die Tanzplattform ganz speziell?
Die Einladung geht an ganz viele Multiplikatoren, an Veranstalter, Menschen in Kulturverwaltungen, an Künstler, Agenten, Kritiker, also an viele unterschiedliche Fachleute. Es kommen Mitarbeiter der Goethe-Institute aus anderen Ländern, es kommen aber auch über die Goethe-Institute und das Auswärtige Amt Veranstalter aus anderen Ländern zur so genannten Themenreise unter dem Aspekt zeitgenössischer Tanz. Man lädt sie ein, damit sie sich in einem sehr konzentrierten Zeitraum viele Produktionen anschauen und darüber einen gewissen Einblick in die aktuelle Tanzszene in Deutschland bekommen. Wir haben im Augenblick etwa 450 Anmeldungen aus 30 Ländern – ich glaube, das ist eine Rekordzahl für die Tanzplattform.
Waren die letzten Tanzplattformen in dieser Beziehung erfolgreich? Werden denn konkret Verträge abgeschlossen?
Ja. In Düsseldorf hat man das nach der letzten Tanzplattform ausgewertet, und da ist sehr viel zustande gekommen. Es wurden hinterher Fragebogen verschickt und dadurch hat man festgestellt, dass sehr viele Kontakte entstanden sind. Man darf auf keinen Fall denken: Die kommen und buchen sofort. Die Tanzplattform ist wirklich eine Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen. Es kommen auch Veranstalter, die ihr Programm bereits fertig haben, um sich dann junge Künstler anzuschauen, die vielleicht in drei, vier Jahren soweit sind, dass sie in ein bestimmtes Programm passen.
Sind das vor allem Leute aus dem Ausland?
Es sind auch viele aus dem Inland dabei. Es sind 19 Choreografien in diesen fünf Tagen, und das ist schon eine Gelegenheit, sich das ganz konzentriert anschauen.
Wie kommt das Programm zustande?
Es gibt ja immer ein Kuratorium, was über das Programm entscheidet. Dieses Modell existiert erst seit 2004, vorher hat die Gemeinschaft der Co-Veranstalter entschieden, und das ergab natürlich immer einen Konflikt zwischen Eigeninteressen und künstlerischer Entscheidung. Daher wurde 2002 beschlossen, zukünftig mit einem Kuratorium zu arbeiten, und das halte ich für eine sehr gute Entscheidung - wir hatten wirklich freie Hand. Ich denke, das Modell wird in den nächsten Jahren so bleiben, aber wer im Jahr 2008 die nächste Plattform ausrichtet, muss sicher darüber nachdenken.
Sind Sie glücklich mit dem Programm, oder gab es Wünsche, die sich nicht realisieren ließen?
Wenige. Zwei oder drei Produktionen hätten wir gerne gezeigt, die wir nicht finanzieren konnten. Das Lachenmann-Stück von Xavier Le Roy zum Beispiel ist eigentlich eine große Produktion mit Orchester und Dirigent, aber das sprengt einfach unsere Möglichkeiten, deshalb zeigen wir nur einen Auszug für zwei Gitarren.
Kommen die freien Künstler und Gruppen nach wie vor gerne zur Tanzplattform?
Ja. Es sind natürlich keine sehr üppigen Bedingungen: Es gibt eine Einheitsgage für alle, das ist eine alte Regel der Tanzplattform. Anreise und Übernachtung werden natürlich übernommen, und wir haben zum ersten Mal durch Mittel der Bundeskulturstiftung die Möglichkeit, dass die Künstler die ganze Zeit dableiben können - das war mir sehr wichtig.
Wird das genutzt?
Das wird von vielen genutzt. Ich dachte oft bei anderen Festivals: Alle bleiben da, die Zuschauer und die Veranstalter, nur die Künstler reisen an, bauen auf, und sind am nächsten Tag wieder weg. Das ist schade, weil es ja auch für die Künstler eine Chance ist, sich die Arbeit von Kollegen anzuschauen, zu diskutieren und sich kennen zu lernen.
Sie arbeiten bei „Grenzgänger“ am letzten Abend zum ersten Mal mit den Stadt- und Staatstheatern zusammen. Ist das ein neuer programmatischer Ansatz, oder eine ganz spezielle Stuttgarter Idee, weil das Stuttgarter Ballett hier so stark ist?
Es gibt immer mehr freie Choreografen, die auch an den Stadt- und Staatstheatern arbeiten. Und manche von ihnen versuchen ja auch, ihr „Gruppenlabel“ zu erhalten wie zum Beispiel Amanda Miller mit Pretty Ugly in Köln. Wir wollen einfach gerne dieses Fenster ein bisschen öffnen und auch einige von den Choreografen mit im Festival haben, die an den Stadt- und Staatstheatern beheimatet sind. Der ganz klare Schwerpunkt der Tanzplattform liegt aber weiter bei denen, die autonom arbeiten, die eine unabhängige Struktur haben, weil sie so eine Veranstaltung einfach viel mehr brauchen.
Denken Sie dabei vielleicht auch an die Intendanten oder an Dramaturgen der deutschen Stadt- und Staatstheater, die sich eventuell überlegen könnten, ob sie nicht einmal einen unabhängigen Choreografen für eine Produktion an ihr Haus holen?
Doch, es gibt auch sicher einige, die kommen. Aber ich glaube, die Welten sind immer noch ziemlich getrennt. Auch da hat Stuttgart eine Vorreiterrolle, weil zum Beispiel ein Dramaturg, der früher an den Sophiensälen in Berlin war, hier am Schauspiel arbeitet oder weil es durch das Forum Neues Musiktheater hier eine Öffnung in die Off-Szene gibt, wo man sehr konstruktiv zusammenarbeitet. Ich denke schon, dass man diese Struktur der Stadt- und Staatstheater verteidigen muss. Und die spannenden Künstler sollten auch die Möglichkeit bekommen, da zu arbeiten! Natürlich wäre es schön, wenn ein Intendant eines deutschen Staatstheaters jetzt mit Jochen Roller oder Martin Nachbar arbeiten will.
Wie sieht das Rahmenprogramm der Tanzplattform aus?
Wir haben mit dem Dramaturgie-Labor morgens ein relativ kleines Format geschaffen, um noch weiter von dem Markt-Charakter wegzukommen. Das ist ein Forum, wo man Produktionen diskutieren kann und auch in die inhaltliche Zusammenarbeit geht. Es war mir wichtig, das Thema Tanzdramaturgie anzustoßen, weil ich es einfach schade finde, dass so wenige Choreografen mit Dramaturgen zusammenarbeiten. Das hat viele Gründe, zum Beispiel können es sich die Choreografen meistens gar nicht leisten, mit einem Dramaturgen zu arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es viele Theaterwissenschaftler, die Lust hätten in einer Produktion mitzuarbeiten, und daher die Idee, die im Moment Studierenden mit Künstlern zusammenzubringen und so bei jungen Theaterwissenschaftlern die Neugierde auf den Tanz zu wecken. Es gibt auch ein Projekt mit den Kulturmanagement-Studenten der PH Ludwigsburg, um auch sie auf das Thema zeitgenössischer Tanz hinzuweisen. Dann gibt es den Espresso-Talk, wo man in verschiedenen Panels diskutieren kann und wo die Stuttgarter Szene ihre Projekte vorstellen kann. Es gibt eine Ausstellung mit Tanzporträts von Bettina Stöß, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tanzarchiv in Köln. Das ist eine Porträtausstellung mit Bildern von Choreografen, die im Studio entstanden sind und sehr auf die Persönlichkeit der Künstler hin ausgerichtet sind. Diese Ausstellung wird nachher weiterwandern und größer werden, wir zeigen jetzt quasi die erste Etappe.
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