Hinter der Südseetapete

Das große Krabbeln bei „Lawn“ zum Auftakt der Tanzplattform

Stuttgart, 23/02/2006

Der Eröffnungsabend der Tanzplattform gehörte der Splintergroup aus Berlin, und die drei Australier wurden lange gefeiert. Grayson Millwood, Vincent Crowley und Gavin Webber waren vorher Tänzer bei Sasha Waltz, Joachim Schlömer und Maguy Marin; gleich mit ihrem ersten eigenen Stück „Lawn“ haben sie vor einem halben Jahr ziemlich Furore gemacht, in Australien wurde es von der Zeitschrift The Australian gar zur besten Tanzproduktion des Jahres gekürt.

In einem riesigen, verratzten Altbau-Zimmer hausen drei Männer: ein Couch-Potato, der in den Fernseher starrt, ein Saubermann, der ständig staubsaugt und ein Müsli-Freak, der müde sein Frühstück löffelt. Das Stück beginnt mit einer Art stillem Eklat: dem Müsli-Mann krabbeln plötzlich Kakerlaken übers Gesicht (und verziehen sich in den Ritzen des Theaterhauses, viel Spaß mit den Nachkömmlingen).

Von da an geht Merkwürdiges vor in dem Zimmer ohne Ausgang - die hässliche Wohnraumrealität fasert an allen Ecken ins Fantastische aus, unheimliche Dinge brechen in den Alltag ein. Ein Schrank an der Rückwand ist offensichtlich das Tor zur Traumwelt; dort verschwinden Dinge, dort tauchen absurde Visionen auf. Die Obsessionen der drei netten jungen Männer verselbständigen sich, ihr gemeinsames Eingeschlossensein löst sich in irrealen Vorgängen auf. Der Müsli-Esser geht buchstäblich die Wand hoch und er wird zum Spiderman, der auf der Tapete herumkrabbelt, derweil Saubermann Cellophanbahnen durch den Raum zieht und seinen Mitbewohner so fest darin einwickelt, dass der sich erst kurz vor dem Ersticken daraus befreien kann.

Der Fernsehfreak verliert in seinem Sitzpolster den Kopf, das nervöse Stäubchen-vom-Anzug-Wischen wird zur wilden Schuhplattler-Einlage, zu der im Schrank ein Bayer mit Quetschkommode erscheint. Ein Faden, den der Putzteufel aus dem Mund des Sessel-Sitzers zieht, reißt wie ein Zipp-Verschluss dessen Eingeweide auf, führt weiter zur Wand und löst dort wie ein Reißverschluss die Tapete von der Wand, wo ein kitschiges Südseefoto zum Vorschein kommt. Hinter der Wand bringt offensichtlich gerade der Nachbar seine Frau um, weshalb die drei Löcher bohren.

Schließlich werfen sie zu heftiger Punkmusik wütend und unheimlich lautlos die Möbel durchs Zimmer, bevor einer von ihnen tatsächlich in der Wand verschwindet. Als letztes Bild ist im geheimnisvollen Schrank die flimmernde Vision eines Plätzchens im Grünen zu sehen - ein Stück gepflegter Rasen, der dem Werk seinen Titel gegeben hat. Ein originelles und witziges Stück mit perfekt funktionierender Ton-, Licht und Bühnentechnik, das in seiner surrealen Entgrenzung der Realität ziemlich unheimlich werden kann.

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