Mach mal Kunst!
Die Uraufführung „Lehmen lernt“ von Thomas Lehmen
Die wenigen Gegenstände, die der Künstler braucht für sein Projekt der Weltverbesserung, liegen neben der Bühne bereit. Hammer und Nägel, ein Videorecorder, ein Würfel und ein Besen, mit dem er am Ende den Staub, den er aufgewirbelt hat, fachgerecht wieder entfernt. Wenig, genug: ein weißer Tanzteppich, eine weiße Rückwand. In seinem neuen Solo „Lehmen lernt“, das im Februar bei der Tanzplattform in Stuttgart uraufgeführt und nun bei der Tanzwerkstatt Europa in München gezeigt wurde, gibt Thomas Lehmen den Künstler als Handwerker. Im Blaumann tritt er hervor. Auch der Soundtrack des Intros ist selbstgemacht, mit zwei Rasseln. Vom Baby zum Künstler: eine exemplarische Bildungsgeschichte.
Mit dem ersten Schrei beginnt die lange Liste dessen, was Lehmen gelernt hat. Doch vom Atmen über das Sprechen bis hin zur Qualifikation, »Kunst zu machen«, wird hier nicht eine individuelle Lebensgeschichte entworfen, sondern eine Zivilisationsgeschichte des Menschen, als dessen Repräsentant der Künstler sich ausweist: als Gebärender, als Astronaut. Und mit den aufgezählten Sprachkenntnissen könnte er urbi et orbi den Segen geben. Eine Botschaft ist in den Deklarationen schon impliziert. Denn Kriege zu führen gehört ebenso zum Lernprogramm des Lebens wie das Richtige zu tun oder die Hoffnung nicht aufzugeben. Der Lehrling als Lehrmeister: Wenn Lehmen die nicht ganz neue Utopie verkündet, wir sollten voneinander lernen und die Welt verbessern, hat er zuvor die Clownsnase aus der Brusttasche seines Overalls gezaubert und erklärt sein Lernprojekt nun im Ruhrpottidiom und quäkenden Kasperleton.
Denn das ist die andere Seite des Künstlers: Er macht sich zum Affen. Der herumspringt und lernt, dass der Würfel ein Kästchen ist, das man öffnen kann. Aus dem freilich wieder nur Staub emporsteigt. Denn Lehmens Stück ist auch eine Groteske der Diskrepanzen. Zu dem was er sagt, zeigt er etwas. Zum Wort „spielen“ etwa mimt er „aus vollem Rohr schießen spielen“. Pantomimisch illustriert er auch die metaphorische Redensart „Problemen aus dem Weg gehen“. So produziert und vervielfacht er Brüche im Kontext. Das ist die Struktur der Pointe, und Lehmen gibt dem Affen Zucker: Er hat, wie er demonstriert, gelernt, sich selbst in Hypnose versetzen. Oder als Magier wahrzusagen. Sogar die Gedanken des Publikums zu lesen.
Am Anfang lacht man über die taumelnde Figur, die sich nur gurgelnd und stöhnend artikuliert. Und wenn Lehmen tanzt, bringt er nicht nur das fachkundige Publikum zum Schmunzeln. In Sachen Komik, also bei der Alternativen eröffnenden Brechung eines Vorstellungsrahmens, ebenso wie für das ikonische, imitative Verfahren der Pantomime gilt der Reiseführer-Satz „Man sieht nur, was man weiß“. Demgegenüber steht des Lerners Wunsch, ein Stück Welt zu kreieren. Anders als der Koch und der Architekt hat oder macht sich der Künstler hier sein Problem. Ein nicht gar so philosophisches Modell und auch wenig unterhaltsamer Gag freilich ist es, wenn der Videorecorder erst mal nicht funktioniert. Im anderen Medium schließlich blitzt in Momenten und Sequenzen auf, was alles Lehmen – vielleicht – wirklich gelernt hat: einen Balance-Kuchen backen und fliegen, ein Würfelkästchen schreinern und fachgerecht kehren.
In den Videoschnipseln wird die Welthaltigkeit von Lehmens Lernprojekt greifbarer, das Umkippen von Alltäglichem, Ernsthaftem, Sinnvollem funktioniert hier überraschender und spielerischer. Man kann sich streiten, ob in den 80 Minuten des Stücks zu viel Sprache oder zu viel Gehampel oder zu viel von beidem geboten wird, doch trägt Lehmen die Statements, die Aktionen und die komischen Widersprüche mit sympathischem Ernst vor. Und das Modell, das er mit seiner Akteur- und Autorfigur durchspielt, ist kein geringes: Es die Legende vom Künstler als neugieriges Kind, sich allseitig ausbildender Uomo universale und für alles zuständiger Stümper und Schöpfer einer Welt.
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