Ritual des neuen Mannes
„Lemniskata” von Lukas Avedaño feiert auf Kampnagel Europapremiere
Geküsst wird nicht mehr, stattdessen legt man einen Mundschutz an, wie selbstverständlich. Welch seltsame Blüten die Angst vor der Ansteckung mit dem Virus SARS in Asien trieb, bringt das Living Dance Studio aus China im „Report on 37,8°“ auf den Punkt – bei dieser Temperatur hat das Virus nämlich ideale Lebensbedingungen. Mit der Performance endete das Laokoon Festival auf Kampnagel.
Auf einer riesigen Projektionsfläche der Alltag einer chinesischen Großstadt: Menschen warten, essen, fahren Bus. Allmählich entstehen Risse in der Leinwand, bis große Fetzen herabhängen und vom normalen Leben kaum noch etwas übrig bleibt – eindringliche Bilder für die Zerstörungskraft der Krankheit. Geküsst wird trotzdem, im Zeitalter von SARS nur anders: Eine Spielkarte wird durch Luftansaugen so vor den Lippen gehalten, dass man sich einem fremden Mund nähern kann. 70 Minuten beklemmende Performance, und man möchte nur noch, dass sie aufhört, so wie die Krankheit.
Bis zu 300 Musikfreunde pro Abend in den Konzerten und fast 20000 Besucher bei den zehn Tanz- und Theaterproduktionen – Intendantin Gordana Vnuk ist zufrieden. Sie hat bewiesen, dass man sich nicht den gängigen Trends anschließen muss, um erfolgreich zu sein, sondern „einen künstlerischen und politischen Kontrapunkt zum bestehenden Festivalmarkt setzen“ kann, und trotzdem ein großes Publikum erreicht. Allerdings hat sie kaum Zeit, Luft zu holen, denn die neue Spielzeit, Vnuks letzte auf Kampnagel, beginnt am 16. September.
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