Zwischen Lebenstraum und Trauertherapie

Simone Wiests „Behind the curtain“ befragt Tänzer in New York

Berlin, 01/05/2006

Die Briefmarkensammlung der Großmutter wurde in eine Filmkamera umgemünzt, den Flug nach New York sponsorte die Familie. So entstehen unabhängige Filme. Der von Simone Wiest befragt kurzweilige 70 Minuten lang zwölf in der amerikanischen Metropole lebende Tänzer, mehr oder minder prominent, nach Beruf, Karriere, Alltag, Träumen. Eva Evdokimova, einst Star auch der Deutschen Oper Berlin, die romantische Ballerina ihrer Generation schlechthin, sollte durch Tanz lediglich ihre Kinderfüße kräftigen, beobachtete ehrfürchtig durchs Fenster Nurejew und Fonteyn bei der Probe.

Der Däne Nikolaj Hübbe, Solist beim New York City Ballet, begann mit fünf Jahren, liebte das Bühnenlicht und fragte sich, was wohl „Behind the curtain“ sei. Das gab dem Film seinen Titel. Henning Rübsam machte Abitur in Hamburg, ging dann an die Juilliard School, ist heute erfolgreich als Tänzer und Choreograf. Der Slowene Tadej Brdnik, Solist in der Martha Graham Dance Company, kam als einer der Gewinner des Wettbewerbs im italienischen Treviso mit 19 nach New York, zum Leidwesen der Eltern, erkellnerte sich sein Studium, tanzte auch bei Baryschnikow.

Sie und viele Namenlose porträtiert der Film im Interview, bei Training und Probe im Saal, auf der Bühne. Immer wieder werden auch Kinder am Beginn ihrer Ausbildung, Jobsuchende mit Nummern auf den gefürchteten Massen-Auditions eingeblendet. Wie bereitwillig sie alle über ihr Tänzersein „im Universum“ New York Auskunft geben, macht diesen Dokumentarstreifen anrührend und authentisch. Reich sind sie nicht geworden, beklagen mangelnde gesellschaftliche Anerkennung, blicken neidvoll auf die starken Musikergewerkschaften, fühlen sich dennoch privilegiert. Tanz sei der Spiegel ihres Inneren, das nach außen dränge, sei Therapie besonders in traurigen Phasen. Man lebe allgemein sehr im Jetzt.

Spannung, Konzentration, Stolz, Selbstbewusstsein fängt die Kamera in Großaufnahme und kurzen Sequenzen ein, zeigt auch die Einsamkeit desjenigen, der mit dem funktionsbereiten Körper sein Geld verdient. Alle sind sie irgendwie schön, alle wirken sie stark und glücklicher als jene, die da gerade durch Manhattan flanieren. Straßenbilder voll Tempo und Energie mischt der Schnitt den Statements ein und macht den Film, der bereits für Festivals in New York und Kalifornien nominiert ist, zu einer fundierten, sensiblen, unsentimentalen Liebeserklärung an die Tänzer in aller Welt.

Nochmals 4.+14.5., 17.30 Uhr, Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

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