Sehr verliebt und sehr verloren

Die „West Side Story“ wird 50 Jahre alt und geht mit der Choreografie von Jerome Robbins auf Tournee

Ludwigsburg, 26/10/2007

Vor ziemlich genau einem halben Jahrhundert, am 26. September 1957, feierte die „West Side Story“ Premiere am Broadway. Zum fünfzigsten Geburtstag des wohl berühmtesten aller Musicals kommt nun eine Tournee der modernen Romeo-und-Julia-Adaption wieder nach Deutschland, die sich mit dem Zusatz „Das Original vom Broadway“ schmückt - wie es Musicaltourneen eben gerne machen. Zum Auftakt gastierte die Produktion im Ludwigsburger Forum am Schlosspark. Natürlich sehen wir hier nicht die Inszenierung von 1957, aber die mitreißende, sorgfältige Einstudierung dürfte unter dem Motto „back to the roots“ dem Original sehr viel näher kommen als die meisten Neuinszenierungen, zum Beispiel die überdimensionierte Produktion auf der Bregenzer Seebühne. Denn die Tourneefassung hat ein ganz entscheidendes Argument für sich: die brillante Choreografie von Jerome Robbins.

Obwohl das Musical heute bei uns in einem Atemzug mit seinem Komponisten Leonard Bernstein genannt wird, war Choreograf und Regisseur Robbins die entscheidende kreative Kraft dahinter - er hatte die Idee, den Shakespeare-Stoff ins moderne New York zu verlegen, er trieb das Projekt voran und suchte sich ein brillantes Team von Mitstreitern zusammen, die fast alle zu wichtigen Figuren in der Geschichte des Musicals werden sollten. Neben Bernstein waren das Buchautor Arthur Laurents, Songtexter Stephen Sondheim - heute der verehrte Altmeister des intellektuellen Musicals -, und Produzent Harold Prince, der später reihenweise Klassiker wie „Cabaret“, „Anatevka“ oder „Das Phantom der Oper“ uraufführte. Schon lange ist die „West Side Story“ ins weltweite Repertoire übergegangen, wurde in großen und kleinen Theatern neu inszeniert und choreografiert.

Die weltweite „50th Anniversary World Tour“, die vom Mannheimer Impresario Michael Brenner initiiert wurde, macht die deutschen Stadt- und Staatstheater aber unglücklich, denn während der mehrjährigen Tournee ist das Musical für sie erstmal gesperrt. In einem einfachen Bühnenbild aus verrosteten Metalltreppen, vor Schwarzweiß-Projektionen aus dem New York der 50er-Jahre und in ganz leicht abstrahierten Kostümen inszenierte Joey McKneely einfach das Stück nach dem Buch, ohne verzwungene Aktualisierung; die Parallelen zur verlorenen Jugend von heute entstehen ganz allein, dafür sorgt das typgerecht besetzte, junge Ensemble, das die mitreißenden Tanzszenen auf die Bühne fetzt, als gälte es sein Leben.

Jerome Robbins war ein genialischer Wanderer zwischen den Welten des Broadway und des modernen Balletts (die Kompanien in Berlin und Stuttgart haben mehrere seiner Stücke im Repertoire), seine authentisch junge und vor Energie vibrierende Choreografie trägt mühelos den ganzen Abend: die akrobatischen Straßenkämpfe, die wirbelnden Latino-Rhythmen, der fingerschnippende, coole Jazz. Wohl weht im entrückten Traumballett des zweiten Akts zu „Somewhere“ ein wenig Musicalwind der 50er durchs Theater, aber mal ehrlich: Kann das heute einer besser? Gesungen und gesprochen wird in englischer Sprache, deutsche Übertitel helfen beim Verständnis.

Donald Chen dirigiert nicht im sämigen Opernstil (was im deutschen Theater so gerne passiert), sondern animiert sein erstaunlich groß besetztes Orchester zu einem stark akzentuierten Jazzfeeling und gefühlvoller Dynamik. Während Ann McCormack die Maria mit einem schönen, leichten Musicalsopran singt, muss David Ruffin als Tony manchmal ein wenig drücken; beide sind ein sehr verliebtes, sehr verlorenes junges Paar. Hinreißend tanzt und singt Vivian Nixon Marias Freundin Anita, zu ihrer lasziven Sinnlichkeit kommt eine große Portion trockener Humor. Ihr Song „America“ ist neben „Maria“, „Tonight“, und „Somewhere“ einer der Hits des Musicals (der Rest, man muss es sagen dürfen, lahmt musikalisch manchmal ein wenig - Bernsteins Partitur für „On the Town“ ist wesentlich reichhaltiger).

Die Produktion führt das großartige, aber oft opernmäßig aufgeplusterte Musical auf die geniale Einfachheit von Jerome Robbins‘ Konzepts zurück, setzt auf Bernsteins jazzige Musik, die gute Geschichte, auf die Authentizität und die Begeisterung des jungen Ensembles. Ganz bestimmt keine schlechte Idee.
 

Weitere Aufführungen bis Februar 2008 in Wien, Paris, Zürich, Leipzig und Baden-Baden.
Links: 
www.bb-promotion.com / www.westsidestory.de / www.leonardbernstein.com

 

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