Schneller Wechsel in Schwerin
Ballettmeister Jonathan Dos Santos wird Ballettdirektor
Mut zum Risiko beweist Schwerins Ballettchef Jens-Peter Urbich mit seiner Programmgestaltung: Nach der Orestie (Choreographie: Dominique Efstratiou) in der Spielzeit 2005/06 holte er sich die zwei Nachwuchschoreographen Annett Göhre und Cayetano Soto ins Haus und ließ sie „Ein neuer Sommernachtstraum“ mit der Musik von Georg Katzer (1978/79) gestalten. Weniger Mut zeigt die musikalische Leitung des Hauses: Die dissonanzgeschärfte Komposition, wirkungsvoll instrumentiert, kommt aus der Konserve; dem Orchester ist es wohl zu schwer, zu mühsam oder was auch immer. Ein Armutszeugnis. Ein wesentlicher Teil des Live-Erlebnisses geht verloren.
Katzers Werk passt sich nicht geschmeidig dem Tanz an, macht ihm keine Beine, es bleibt kantig, sperrig, schneidend, beim ersten Hören schwer in der Struktur zu erfassen. 1981 führte Tom Schilling das Ballett in Berlin auf (sechs Jahre zuvor hatte Schilling „Schwarze Vögel“ zur Musik von Katzer choreographiert). Göhre und Soto verlegen das Stück in eine quasi reale Gegenwart und zugleich in eine Welt zwischen Himmel und Hölle (Unterwelt), kein Ort für leichtfüßigen Elfenzauber, sondern für dunkel-rätselhaftes Geschehens. Die Paare Hermia/Lysander und Helena/Demetrius entspringen dem Büromilieu, hocken hinter ihren Schreibtischen, um sich dann aufzumachen zu einem Verwirrspiel mit Geturtel und Kabbeleien sowie Hahnenkampf zwischen den Männern. Schlussendlich finden sich die richtigen Shakespeare-Zweier. Puck kobolzt nicht als fröhlicher Springteufel über die Bühne, sondern wandert in „unschuldig“ weißer Unterwäsche staunend umher, unsichtbar den Menschen, sichtbar nur den „Göttern“ Oberon, dem Himmel zugeordnet, und Titania, Unterweltsherrin. Im knappen roten Kleid steht sie wie eine finstere Verheißung an der Bahre, auf der Puck, bedeckt mit einem Leichentuch, hereinrollt. Nicht mehr lebend, aber noch nicht tot.
Mit fast demselben Bild endet das Stück, mit einem entscheidenden Unterschied: Puck beobachtet das Hereinrollen der Bahre, tritt heran, Titania zieht das Tuch vom Gesicht des liegenden Körpers. Puck verdeckt die Sicht für die Zuschauer. Sieht er sich selbst als Toten? Beginnt das Spiel von neuem? Zuvor zeigt Oberon ihm den Himmel, wo ihn fünf knackige Himmelbubies, ausgestattet mit niedlichen Flügelchen, mit einer Moaß Bier erwarten. Nach dem Motto „Eins, zwei Gsuffa“ verarbeitet das Choreographenduo ziemlich unbedarft bayrischen Lebensstil. Beide waren einige Jahre am Gärtnerplatztheater München engagiert. Zur spöttisch stilisierten Rummstatamusik Katzers zitiert es Schuhplattlersequenzen. Weniger lustig geht‘s bei Frau Titania zu, wo sich eher anämische Geisterwesen harmlos auf Spitze präsentieren. Den volkstümlichen, meist ziemlich kindischen Part weisen Göhre/Soto einer Putzfrau und einem Hausmeister zu. In letzteren verknallt sich kurzeitig Titania dank der Wirkung einer Zauberblume, sie wird aber schnöde abgewiesen.
Die Bühne (Lutz Kreisel) ist leer geräumt, darüber schwebt ein riesiger, beweglicher Metallrahmen aus Gitterwerk, der sich nach vorn oder hinten absenkt. Zur Unterwelt reichen drei violett leuchtende Neonröhrenquadrate. Hinten teilt sich der Hänger, mal zu einem Tor, mal zur bunten Projektion, mal zu Schattenspielen. Die Angst vor einer Pause scheint die beiden Nachwuchschoreographen in eine fast unaufhörliche Folge von komplizierten Bewegungen, Hebungen, Verschlingungen zu treiben. Sie ignorieren (noch) das bewusste Setzen von Ruhepunkten, in die eine Bewegungsfolge quasi innerlich hinein schwingen und damit ihren Gehalt verstärken kann.
Die hohen Anforderungen bewältigen die Tänzer/innen gut, können allerdings die vielen Brüche der choreographischen Phrasierung nicht zukleistern. Zu oft zerreißt der sichtbare Konzentrationsaugenblick - jetzt kommt eine heikle Stelle, wird ungewollt signalisiert - den Fluss, gelingen Übergänge nicht zwingend, sondern gerade eben. Die technische Anforderung wird zum Selbstzweck, vermag nicht Situation, Stimmung, Person zu charakterisieren. So versackt zu vieles im Oberflächlichen, verliert sich prätentiöser Virtuosität.
Trotz allem tanzt sich die herausragende Kellymarie Sullivan als dunkel glühende Titania in den Mittelpunkt, ganz in Rot, erotisch mit kraftvollem Zugriff, aggressiver Attacke, jederzeit kontrolliert mit schöner Platzierung. Sie setzt die Akzente nicht mit dem Paukenschlag, sondern bindet sie ein in den Ablauf. Ihren Pas de deux mit Puck lädt sie auf mit einem fast verzweifelten Begehren. In Tobias Almasi als Oberon hat sie einen technisch sauberen Partner, ihm gebricht es jedoch an Persönlichkeit, nicht zuletzt wegen der steif geführten Arme. Rustam Savrasov (Puck) schlendert meist unterfordert herum. Zwei Ausdrucksmomente ragen heraus: Zum Start des zweiten Teils rennt er mit immer höherem Tempo im Kreis, fast scheint es den Verlorenen aus der Kurve zu tragen. Im Finale stirbt er gekonnt einem quälend langsamen Tod. Schließlich ist noch Jelena-Ana Stupar als Hermia zu erwähnen, sie besticht mit jugendlicher Frische.
Musik von Georg Katzer, Choreographie: Annett Göhre/Cayetano Soto Schweriner Premiere: 15.12.2006, Gesehene Vorstellung: 11.1.2007
www.theater-schwerin.de
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