In jeder Beziehung der Erste

Die John Neumeier Ballett-Gala

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Baden-Baden, 06/10/2007

Er ist der erste Nichtmusiker, der den Herbert von Karajan Musikpreis der Kulturstiftung Festspielhaus Baden-Baden erhalten hat. Gleichwohl kann man behaupten, dass lediglich sein Instrument ein anderes ist: John Neumeier musiziert mit den Körpern seiner Tänzer, und die hat er in den über dreißig Jahren seines Hamburger Wirkens zu einem Instrument von Stradivari-Qualität geformt. Und so sieht man Musik, wenn das Hamburger Ballett tanzt.

Er ist aber auch in anderer Hinsicht der Erste: als Amerikaner, der zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des deutschen Theaters geworden ist – als Intendant und Choreograf, der am längsten seinem Haus, der Hamburgischen Staatsoper, verbunden ist. John Neumeier ist einfach, wie das heute so schön heißt, spitze! Dass er jetzt den mit 50 000 Euro höchst-dotierten baden-württembergischen Musikpreis erhalten hat, erfüllt einen mit umso größerer Genugtuung, als hierzulande, in Stuttgart, die Wurzeln seiner professionellen Existenz liegen. Als Einundzwanzigjähriger kam er 1963 zum Stuttgarter Ballett, absolvierte hier unter Cranko seine künstlerischen Formationsjahre und ging dann via Frankfurt als damals jüngster deutscher Ballettchef nach Hamburg. Man muss also schon in historischen Kategorien denken, will man ihn an anderen großen Persönlichkeiten der Ballettgeschichte messen und landet dann gleich bei Petipa und Balanchine.

Entsprechend der festliche Rahmen dieses Gala-Abends anlässlich der Preisverleihung mit den obligatorischen, erfreulich kurz gehaltenen Reden des Ministerpräsidenten und, als Laudatorin, der Prinzessin von Hannover, die als Caroline von Monaco eine der großzügigsten Mäzenatinnen des Balletts ist – ohne zu erwähnen, dass Neumeier seine erste große Kompaniechoreografie außerhalb des Stuttgarter Balletts für das amerikanische Harkness Ballet schuf, „Stages and Reflections“, die er 1968 in Monte-Carlo zur Uraufführung brachte. Auch in seiner Danksagung erwies sich Neumeier als erster: indem er verkündete, dass er das für die Nachwuchsarbeit bestimmte Preisgeld der Erweiterung der wissenschaftlichen Sammlung seines Hamburger Ballettzentrums in Verbindung mit der Neumeier-Stiftung und der Einrichtung eines Instituts für Tanzgeschichte in Zusammenarbeit mit der Hamburger Universität zugutekommen lassen will.

Mit neun Nummern aus dem Repertoire der Hamburger Kompanie bot das Programm eine Anthologie der inzwischen weit über hundert Opusnummern des Neumeierschen Oeuvres – ausschnittsweise, sozusagen die Juwelen eines choreografischen Fabergé, beginnend mit dem herbstlich getönten „Spring und Fall“ zu Dvoráks Streicherserenade, mit Hélène Bouchet, Thiago Bordin, Carsten Jung und Ivan Urban sozusagen als den vier Saiten dieses Hamburger Stradivari-Instruments (hübsche Pointe dieser Besetzung, dass Bordin, brasilianischer Erster Solist der Kompanie, an der Mannheimer Akademie von Birgit Keil sich seinen Feinschliff geholt hat). Es folgte ein Trio aus „Nijinsky“, eine der dichtesten Kreationen Neumeiers, mit Anna Polikarpova, Alexandre Riabko und Otto Bubeníček topbesetzt und sodann „Tod in Venedig“, gruppiert um Lloyd Riggins.

Als Beispiel aus dem geistlichen Sektor des Repertoires tanzte Peter Dingle das Solo des gemarterten Christus, wonach das Duo „Shall we dance?“ zu Musik von Gershwin den größten denkbaren Gegensatz (und damit die enorme Weite des Hamburger Repertoires) bot, von Silvia Azzoni und Riabko mit dem nonchalanten Charme von Broadway-Profis über die Bühne gewirbelt. Nicht fehlen durfte „Parzival“, erst vor ein paar Monaten in Baden-Baden uraufgeführt und Edvin Revazov auf seinen stämmigen Leib choreografiert, ebenfalls als ein Pflichtstück folgte „Die Kameliendame“, quasi als Huldigung an ihre Stuttgarter Herkunft, von Joëlle Boulogne und Bordin von der Seine an die Elbe transportiert, und als „Opus 100 – for Maurice“, zu zwei Songs von Simon und Garfunkel, Neumeiers Antwort auf Béjarts „Lieder eines fahrenden Gesellen“ – von Riabko und Urban als kumpelhaften Body-Machos präsentiert.

Das Finale bildeten dann die drei Schlusssätze aus Mahlers Dritter Sinfonie, des Balletts also, das am Anfang von Neumeiers enzyklopädischer Erarbeitung des Mahlerschen Oeuvres stand. Unweigerlich schweiften da bei denjenigen, die dabei waren, als er 1974 den vierten Satz mit Marcia Haydée, Richard Cragun und Egon Madsen als Memorial für John Cranko schuf, um ihn dann 1975 zu komplettieren, die Gedanken zurück zu den Hamburger Pionieren mit Zandra Rodriguez, Marianne Eglevsky, Truman Finney und Max Midinet, die mit und um Neumeier den Hamburger Stil einer schlanken, kühlen, hochsensiblen Musikalität begründeten. Als ihre Nachfolger in der zweiten Generation erwiesen sich an diesem Abend Carsten Jung, Joëlle Boulogne, Otto Bubeníček und Silvia Azzoni mit der imposanten Equipe ihrer Kollegen als legitime Repräsentanten eines spezifisch hanseatischen Klassizismus. In jeder Beziehung ein großer Abend!

 

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