Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Hört man richtig? Wummernde Töne aus einer Mundharmonika, Murmeln, Stimmengewirr. Auf der dunklen Bühne im Theater an der Wien sind Menschen in schwarzen Mänteln unterwegs. Der Harmonika-Spieler (Lloyd Riggins) bahnt sich den Weg nach vorne und wird lange versunken vor einem kleinen Tannenbaum am Bühnenrand hocken. Erst danach heben die Wiener Symphoniker unter Alessandro de Marchi und der Arnold Schoenberg Chor mit „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage . . .“ an.
John Neumeier hat die ersten drei Kantaten aus Bachs Weihnachtsoratorium als Tanzfolie für seine Uraufführung mit dem Hamburg Ballett ausgewählt. Und dehnt seine bedächtige Interpretation der Weihnachtsgeschichte über die ziselierten Verse der Kantaten hinaus. Eine zeitlose Welt inszeniert der Hamburger Ballett-Intendant, der auch für Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet. Tanztheatrale, erzählhafte Passagen zu den Einsätzen des Evangelisten Christoph Prégardien sowie den Sängerkollegen Kristina Hammarström, Christiane Karg und Vito Priante wechseln mit dem Tempo der Musik entsprechendem furiosem Tanz ab.
Keine Krippe, kein Jesuskind, keine eindeutige Bebilderung. Der Choreograf lauscht dem Komponisten vielmehr Szenen ab, die sich entlang der Geburt Christi schlängeln. Wohl zeichnet er einige Figuren genau, wie „die Mutter“ (Anna Polikarpova), „ihr Mann“ (Peter Dingle), „ein Hirte“ (Carsten Jung) und „der Engel“ (Silvia Azzoni, Arsen Megrabian). Mit klassischem und modernem Bewegungsmaterial versehen, rufen die symbolhaften Handlungen vielmehr Assoziationen beim Betrachter ab.
Immer wieder drängen rotbraune, schlicht kostümierte Tänzergruppen nach vorne, die den oratorienhaften Charakter verdeutlichen. Darunter übrigens auch Patricia Tichy, die die Wiener Staatsoper hinter sich gelassen hat und sich nun eindrucksvoll unter den fabelhaften, modernen Hamburgern bewährt.
An der Elbe wird regelrechte Formstiftung betrieben. Neumeier lässt auch dieses Mal nicht ab von der streng stilisierten Form, die meist voll des Inhalts ist. Dichtes dramatisches Material, das etwa die herausragende Anna Polikarpova staccatoartig aus ihrem Körper stößt. Ein Bewegungsfinder ist da am Werk, der Bach auf seine Art barock antwortet.
Indessen geht dem meditierenden Mann allmählich ein Licht auf. Berührend die Szene, in der Lloyd Riggins die Bewusstwerdung des Mannes tanzt, eins wird mit Glaube und Vorstellung und sich voll der Freude ins Tanz-Geschehen stürzt. Am Menschen selbst liegt es, ob er glauben will oder nicht und sich dafür öffnet. Mit der Wiederholung des Eingangschores geht Neumeiers sakrales Werk zu Ende. Und die Mundharmonika wandert zum Nächsten, der sich auf die Suche macht.
Viel Applaus gab es für das Tänzer- und Sängerensemble sowie Chor und Orchester, die berühmten standing ovations galten dem Meister aus Hamburg. Die Koproduktion mit dem Theater an der Wien ist ein Erfolg. Die drei Vorstellungen sind ausverkauft. Hamburg-Premiere ist am 23. Dezember.
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