Ein Triumph der Jugend
John Neumeier eröffnet die 48. Hamburger Ballett-Tage mit „Romeo und Julia“
Es ist schon Tradition, dass die Nijinsky-Gala, mit der die Spielzeit der Oper und die alljährlichen Ballett-Tage in Hamburg abgeschlossen werden, länger dauert als ein normaler Ballettabend. Aber dieses Jahr toppte John Neumeier alles Bisherige: von 18 Uhr bis Mitternacht durfte das Publikum im Tanz schwelgen. Und wie! „Mythen und Märchen“ lautete dieses Jahr das Leitmotiv der Gala. Ein Mythos, erklärte Neumeier, verhalte sich zur Menschheit wie der Traum zum Indviduum. Der Mythos sei die „innere Wahrheit der Menschheit“, der Traum die innere Wahrheit des Einzelnen. Deshalb verstehe man viel über die Grundgesetzmäßigkeiten des Erdendaseins der Menschen, wenn man sich mit den zeitlosen Mythen und Märchen beschäftige. Neumeier hat das vielfach getan.
Und so begann der Abend passend mit Pas de Deux aus seinen Interpretationen von „Dornröschen“ (lupenrein: Barbara Kohoutkova und Otto Bubenicek), „Cinderella-Story“ (vielversprechendes Rollendebut: Hélène Bouchet und Thiago Bordin), „Daphnis und Chloe“ (noch ein erfolgreiches Rollendebut: Georgina Broadhurst und Yohan Stegli), „Amleth“ (mit einer hingegebenen Silvia Azzoni als Ophelia und einem zwischen Abreisen- und Bleibenwollen schwankenden großartigen Alexandre Riabko als Amleth – ebenfalls ein Rollendebut), „Schwanensee“ (mit Polina Semionova und Wieslaw Dudek von Staatsballett Berlin in dem betörend langsam und vollendet getanzten Schwanenprinzessin-Pas de Deux von Marius Petipa) und „Nussknacker“ (mit der bis in die Fingerspitzen perfekten Uljana Lopatkina vom Ballett des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg als Ballerina).
Teil II der Gala begann mit zwei sehr gegensätzlichen Szenen aus Neumeiers „Parzifal“ – dem lebhaften Treiben am Hofe von König Artus und der ungemein intensiven Sterbeszene von Parzifals Mutter Herzeloyde (berührend getanzt von Kusha Alexi und Amilcar Moret Gonzalez). Einige Sequenzen von „Parzifal“ werden bei den Vorstellungen übrigens mittlerweile leider vom Tonband und nicht mehr live vom Orchester gespielt – im recht engen Hamburger Orchestergraben ist die Musik von John Adams in den Fortissimo-Stellen so laut, dass die Musiker Schäden am Gehör davongetragen haben und sich weigerten, diese Abschnitte weiterhin live zu spielen. Das Stück büßt dadurch bedauerlicherweise gerade in entscheidenden Passagen einiges an Eindrücklichkeit und Intensität ein.
Teil II barg aber auch bereits einige Höhepunkte der Gala: so z.B. das letzte Solo aus Neumeiers „Sacre“ mit der in dieser Rolle unvergleichlichen Niurka Moredo, die sich damit als Tänzerin verabschiedete – ab der nächsten Spielzeit wird sie dem Hamburg Ballett als Ballettmeisterin erhalten bleiben. Miki Orihara und Tadej Brdnik von der Martha Graham Dance Company zeigten mit „Errand into the Maze“ eine faszinierend andere Art, den Mythos von Ariadne und Minotaurus zu interpretieren.
Eindeutiges Highlight aber war der „Sterbende Schwan“ – für Neumeier eine „beispiellose Anhäufung von Mythen und wie nichts Anderes mit einer Tänzerin verbunden“: Anna Pawlowa. Jetzt tanzte Uljana Lopatkina dieses legendäre, leider viel zu oft verkitschte Stück. Und sie lehrte, dass es auch anders geht: schnörkellos, ganz und gar unmaniriert, stilistisch absolut vollkommen, dabei mit einer bezwingenden Ruhe und gleichzeitig einem berührenden Aufbäumen gegen das Unausweichliche – das war überirdisch schöne Tanzkunst.
Beim Publikum kam das eindeutig besser an als die Referenz an den Gala-Abend – der technisch außerordentlich anspruchsvolle, aber inhaltlich eher flache Pas de Deux „Diana und Akteon“ nach Waganowa, getanzt von Carolina Aguero (die man selten so funkeln sieht, auch wenn ihr die Fouetté-Serie nicht ganz gelang) und Maximiliano Guerra als Gast (der die geforderte Macho-Allüre souverän ausspielte).
Auch die beiden Pas de Deux aus Neumeiers „Sylvia“ mit bewährten Hamburger Ersten Solisten fanden beim Publikum eindeutig mehr Anklang. Und mit einem berührenden „Valse Lente“ verabschiedete sich dann Heather Jurgensen von ihrem Publikum, das die beliebte, langjährige Erste Solistin kaum von der Bühne lassen wollte.
Aber der Abend war noch steigerungsfähig: Mit einem Pas de Deux aus „Roméo et Juliette“ des heute 67jährigen, hierzulande ziemlich unbekannten italienischen Choreographen Amedeo Amodio (Direktor des Balletts des Theaters Massimo in Palermo) zeigten Alessandra Ferri und Roberto Bolle einmal mehr ihre Brillanz in Darstellung und Technik. Und in dem berühmten Pas de Deux des Goldenen Sklaven mit Sheherazade – eine Huldigung an den Mythos Vaslaw Nijinsky – bewies Uljana Lopatkina, dass sie mit ihrem Körper machen kann, was sie will, es wird daraus immer faszinierender Augenschmaus pur – umso mehr, als sie mit Ivan Koslov einen Tänzer zur Seite hatte, der die schwierige Nijinsky-Gestik perfekt beherrschte.
Und obwohl sich dieses Jahr das eigentlich geplante Gastspiel von Maurice Béjart nicht verwirklichen ließ, erwies ihm Neumeier mit dem Pas de Deux von Brünnhilde und Siegfried aus „Ring um den Ring“ (hinreißend getanzt von Polina Semionova und Michael Banzhaf vom Staatsballett Berlin) seine Referenz und mit seinem eigenen „Opus 100 – for Maurice“ wohl eine der schönsten tänzerischen Liebeserklärungen, die die Ballettgeschichte kennt (phänomenal in diesem Männer-Pas de Deux: Ivan Urban und Alexandre Riabko).
Mit obligatorischem Konfetti-Regen und Bühnendonner verabschiedeten sich die vom Publikum umjubelten Tänzer und die gesamte Kompanie in die mehr als verdienten Theaterferien.
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