Durchs Feuer gelaufen
Ein Gespräch mit Robert Tewsley
Es scheint eine gewagte Idee, Edmond de Rostands „Cyrano de Bergerac“ in Tanz zu „übersetzen“, ein Stück, in dem sich alles um Worte dreht. Rostands Held ist ein Künstler der Formulierung, die sowohl in Sprache und Schrift, sowohl im Kampf als auch in der Liebe, stets ebenso zielsicher trifft wie sein Degen. Roxane hingegen verliebt sich nicht in einen Menschen, sondern in dessen Worte, und weist ihren Geliebten Christian entsetzt zurück, sobald dieser nicht mit Cyranos geliehener Zunge spricht. David Bintley, Direktor des Birmingham Royal Ballet und erfolgreicher Choreograf unter anderem des 1995 in Stuttgart uraufgeführten Stückes „Edward II“, hat sich nun, nach einer ersten Version für das Royal Ballet im Jahr 1991, zum zweiten Mal dieser Herausforderung gestellt.
Die Probleme sind offensichtlich: anders als in Stücken wie beispielsweise „Romeo und Julia“ kann der Choreograf hier brillante Rede nicht einfach durch virtuosen Tanz ersetzen, da Cyranos Liebeserklärungen stets indirekt durch Briefe oder den Mund eines anderen erfolgen; nur im Schutz der nächtlichen Dunkelheit kann Cyrano seinen Gefühlen kurz offen Ausdruck verleihen. Auch darf der schöne, aber ungebildete Christian tänzerisch nicht ebenso inkompetent sein wie verbal, ohne zum reinen Statisten zu werden. Und wie sollte ihm Cyrano in der Liebesszene in Roxanes Garten seinen Tanz „leihen“?
Bintley entscheidet sich deswegen dafür, dem Inhalt von Cyranos brennenden Liebesbriefen mehr pantomimisch als tänzerisch Ausdruck zu verleihen, wodurch die Darsteller allerdings zuweilen in exzessive und nicht immer verständliche Gestikulation verfallen. Gelungener ist hingegen die „Übersetzung“ von Cyranos verbalen Auseinandersetzungen mit den Beleidigern seiner Nase in virtuose Fechtkämpfe. Abgesehen von diesen Problemen gelingt Bintley eine überzeugende Umsetzung des Stoffes mit einigen interessanten choreografischen Einfällen und augenzwinkernden Querverweisen auf die Balletttradition.
So beginnt eine Szene mit einem Pas de cinq zwischen dem Bäcker Ragueneau und seinen vier Lehrlingen, einer deutlichen Parodie auf das Rosenadagio aus „Dornröschen“. Reizvoll sind auch die Pas de deux, die ausnahmslos auf Missverständnissen beruhen: ein Pas de Deux zwischen Cyrano und Roxane im Garten, in der letztere nur Augen für einen angeblich von Christian stammenden Brief hat, Roxanes und Cyranos Pas de deux in der Bäckerei sowie zwei lyrische Pas de deux zwischen Roxane und Christian. Bühnenbild und Kostüme von Hayden Griffin sowie die von Carl Davis eigens komponierte Musik schaffen einen harmonischen Rahmen für das Ballett.
Nach der Uraufführung mit Robert Parker und Elisha Willis in den Hauptrollen war in einer weiteren Besetzung Robert Tewsley als Gast an der Seite von Ambra Vallo zu sehen. Der ehemalige Startänzer des Stuttgarter Balletts dominierte trotz seiner zuweilen in den Hintergrund gedrängten Rolle vollkommen das Bühnengeschehen und bot eine brillante Interpretation des psychologisch komplexen Charakters des Cyrano. Wie so oft gelang es Tewsley, seine Figur zu vollem Bühnenleben zu erwecken: in seinem Tanz ist kein Blick, keine Geste und kein Schritt bloße Ausführung einer Choreografie, sondern verrät stets auch etwas über Cyranos Gefühle oder eine Facette seiner Persönlichkeit. Zeigt sich sein Cyrano zu Beginn als souveräner Fechter, den außer Beleidigungen seiner Nase nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, so verwandelt er sich kurz darauf in einen schwärmerischen Romeo, als er Hoffnung wittert, die heimlich angebetete Roxane zu gewinnen. Als diese ihm ihre beginnende Liebe für den schönen Christian gesteht, beschließt er, als väterlicher Beschützer sein Glück dem der Geliebten zu opfern.
Nur die seltenen Momente, in denen Tewsleys Cyrano seinen Gefühlen Ausdruck verleihen kann - im Zwiegespräch mit seinem Vertrauten Le Bret (Tyrone Singleton), in seiner nächtlichen Liebeserklärung an Roxane, die ihn für Christian hält und endlich in der Schlussszene - lassen erahnen, welche Leidenschaft in den Briefen liegt, die Roxane so ergreifen, dass sie sich von einem sorglosen und impulsiven Mädchen in eine Witwe verwandelt, die nur für das Andenken ihres poetischen Gatten lebt.
Die temperamentvolle Ambra Vallo als Roxane stellt diese Persönlichkeitswandlung überzeugend dar, wobei sie es in der letzten Szene nicht an Pathos fehlen lässt. Zusammen mit Chi Caos naivem Christian bildet sie ein reizvolles Gegenstück zu Cyranos tiefer Einsamkeit, die dieser durch seine indirekte Kommunikation mit Roxanes Herz zu überwinden sucht. Zu spät erkennt sie ihren Irrtum, als der sterbende Cyrano ihr „Christians“ letzten Brief vorträgt. Bintley verzichtet hier auf einen Schluss-Pas-de-deux, und so endet das Stück mit Tewsleys letztem Solo, in dem er ebenso wie Rostands wortgewaltiger Held in dessen letzter Rede noch einmal mit all der Bravour glänzt, die den tanzenden und den sprechenden Cyrano am stärksten verbindet.
Besuchte Vorstellung: 2.3.07, Plymouth, Theatre Royal
Weitere Vorstellungen: New Theatre Oxford, 27. & 28.03.07
Link: www.brb.org.uk
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