„Dependent Behaviour“ von Cayetano Soto und „Hinterland“ von David Williams

Neues beim Braunschweiger Ballett

Braunschweig, 07/05/2007

In „Dependent Behaviour“ stehen die TänzerInnen zu Beginn des Stücks erwartungsvoll, aber doch lässig und entspannt dem Publikum den Rücken zugewandt vor dem noch verschlossenen Vorhang. Musikalische Fragmente untermalt von Funkpixeln und an Echolotgeräusche erinnernde Fetzen kreieren einen artifiziellen Klangraum. Der Vorhang hebt sich und wir betrachten die leere Bühne einer futuristisch anmutenden Welt wie sie James Cameron in der Kultserie Dark Angel gezeichnet hat.

Da sind wir also angekommen in der Zukunft, einer tristen perspektivlosen Zukunft in der es keine Gefühle, keine zwischenmenschlichen Begegnungen, kein Leben mehr gibt, und nur noch die Mensch-Replikanten aus Menticore allein gegen die Unmenschlichkeit des Systems kämpfen und zu überleben versuchen.

Cayetano Sotos Welt ist eine sinnentleerte, öde Welt, in welcher der Mensch lediglich über die Funktion imstande ist zu existieren. Die Menschenmaschinen dieser Welt sind gezwungen sich ihren Weg, in einem Zwischenraum, ständig auf der Flucht, kontrolliert durch das Mikroskop des Fliegenden Auges und die unablässig suchenden Scheinwerfer, zu bahnen. Mit kraftvoll dynamischen und interessanten sportlich anmutenden Bewegungsabläufen und -varianten erkämpfen sie sich ihren Platz in dieser utopisch anmutenden Szenerie.

Jeden Augenblick erwarten wir Jessica Alba in einem atemberaubenden Stunt über die Bühne schweben zu sehen. Mara Vivas in ihrer anmutenden Fraulichkeit läßt immer wieder einen Hauch von Jessica Albas Schönheit entstehen. Doch Vivas kämpft wie Alba in Dark Angel einen einsamen Kampf. Es geht um das nackte Überleben. Der Mensch kämpft diesen Kampf alleine und wenn es einmal zu einer Begegnung kommt, gibt es keine Kommunikation, kein wirklicher Kontakt findet statt. Es sind Maschinen wie in Terminator, die diese leere Zukunft bevölkern. Maschinen würdigen sich keines Blickes, arrogant und mechanistisch spulen sie ihr Pensum ab und nach getaner Arbeit wenden sie sich dem nächsten Prozeß zu.

In dieser Atmosphäre sind der Freiheit der Bewegung immer engere Grenzen gesetzt, so dass den mutierten Bewegungsakrobaten nur noch minimale Bewegungsreplikationen in Form von Körperzuckungen verbleiben, die eine für meinen Geschmack zu deutliche Anlehnung an Marco Goeckes Stil erkennen lassen.

Zum Ende bleibt in dieser Gesellschaft kein Spiel- und Bewegungsraum mehr übrig, als die letzte verbleibende Tänzerin gefangen innerhalb eines Lichtquadrates in absoluter Bewegungslosigkeit erstarrt. Man kann nur hoffen, daß dies nicht der innere Beweggrund für die TänzerInnen (wie im Programmheft angeführt) in der Ausübung ihrer Kunst ist. Dies wäre wahrlich eine düstere Zukunftsperspektive.

David Williams setzt sich dagegen angenehm positiv von dieser trostlosen Endzeitvision ab. Hinterland erzählt konkrete Geschichten aus dem Leben.
Ja, wir befinden uns im Hinterland, in der Einöde, wo das Leben in noch scheinbar geordneten Bahnen verläuft und bestimmten vorgegebenen Ritualen und Abläufen unterliegt. Im Hintergrund nimmt man die auf den leeren Landstraßen vorbeidonnernden LKW‘s wahr, die das im Abseits der übrigen Zivilisation liegende Hinterland vergegenwärtigen.

Die Bühne ist mit kleinen Strandhütten bevölkert, die den für die Landbevölkerung eigenen wie auch den gleichfalls einengenden Raum verdeutlichen. Mit dem so gestalteten Bühnenraum befinden wir uns in der Welt des von Jacques Tati erfundenen Monsieur Hulot, den wir jeden Augenblick über die Bühne schlendernd erwarten. Der Alltag auf dem Lande ist, wie in Hulots Kosmos ein banaler, jeden Tag im gleichen Rhythmus ablaufender, sich in unablässig monotonen Bahnen wiederholender Alltag in konstanter Langeweile.

Hier begegnen sich die Menschen, sind gezwungen sich auseinanderzusetzen und zu konfrontieren. Machtlos sind sie den Gegebenheiten ihrer Umgebung und den Zwängen der vorherrschenden Gesellschaftsordnung ausgeliefert. In kleinen, klar abgesteckten Episoden deckt Williams immer wieder diese bestehende Problematik auf und karikiert sie, ohne erhobenen Zeigefinger auf eine humoristische Art und Weise.

Dafür findet David Williams eine reiche ausdrucksstarke und eigene Bewegungssprache. Schade, daß der Eindruck entstand, dass dem Schöpfer in den Übergängen zu den diversen Solis, Duos und Trios (die sich deutlich erkennbar mit den Problembereichen der Trennung, Emanzipation, Schmerz und Wut in Relation setzen) der Mut fehlte seinem Vokabularreichtum gänzlich zu vertrauen. Insgesamt hat Williams jedoch den Mut besessen den TänzerInnen viel kreativen Freiraum zu lassen, was dem Stück sichtbar gut tut.

Ganz stark ist die Square-Danceeinlage in Cowboymanier mit einem Folksong zu U2's „I still haven't found what i was looking for“ die die Notwendigkeit des Neben- und Miteinanders des Landlebens aufdeckt und mit der uns David Williams einen positiven Aspekt dieses im eigentlichen Sinne doch traurigen Liedes nahebringt: wenigstens habe ich es versucht, und ich versuche es weiter und weiter und weiter... Am Ende eines langen Tages sitzen schließlich alle gemeinsam in der Abenddämmerung zusammen und der Dorfbarde spielt auf der Gitarre und singt (überraschend angenehm, einfühlsam und sicher im Gesang Tiberiu Voicu). Die spinnen die Städter.
Starker Applaus für beide Stücke bei leider nur halbvoll besetztem Haus.
 

Wieder am 16., 24., 26. Mai, 1., 5., 23. Juni.

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