Scholztalgie in Leipzig
„Scholz-Symphonien“ von Uwe Scholz beim Leipziger Ballett
Cayetano Sotos „Peter I. Tschaikowski“ mit dem Leipziger Ballett
Zwölf große goldene Buchstaben stehen auf der Bühne und glänzen vor sich hin. Sie ergeben „Tschaikowski“, um den es an diesem Abend gehen soll. Im Hintergrund stehen theatergerechte leere Sitzreihen, und in der Ecke haben Dario Suša und Cayetano Soto eine leicht überlebensgroße Astronautenstatue aufgestellt, die sich über weite Strecken nicht vom Platz bewegen und bis auf einen Einsatz als Gimmick keine Funktion haben wird. Davor ruckeln sich einzelne schwarz gekleidete Figuren über die Bühne, wie mechanische Aufziehpuppen, deren Mechanismus aber ins Stocken geraten ist. Kaum ein längerer Move oder eine längere Bewegungsfolge. Dieser Abend ist aus Fragmenten zusammengesetzt, und das wird bis auf die letzte filigrane Handbewegung (an denen mangelt es nicht) durchdekliniert. Dennoch, wer will, wird in diesen ersten Bewegungsandeutungen hier und da einen Schwan erblicken können.
Durchgehendes Element ist allenfalls der Bruch. Es gibt keine großen Bögen, nur Aneinandergesetztes, das aber in einer ausufernden Kunstfertigkeit und einer nicht zu knappen Prise ironischen Humors, der wiederum eine ganz eigene Form der Brechung darstellt. Da beugen sich zwei Tänzer übereinander, dass ihr Zusammenbild im Gegenlicht aussieht wie ein verunglückter Käfer oder zwei tragen sich ineinander verrenkt über die Bühne zu gegenseitigem Popoklatschen. Dazu kommt eine Lichtgestaltung von verschwenderischer Einfachheit, wenn die Bühne einfach mal mit einer Farbe überschwemmt wird oder eine Scheinwerferreihe auf Bodenhöhe direkt ins Publikum strahlt.
Kein Schwanensee, dafür ausgefallen abstrakte Formensprache
Der Choreograf Soto hat sich in Leipzig bereits im April 2022 bei dem Dreier-Abend „Scholz/Soto/Schröder/“ mit der kleinen Etude „Uneven“ für acht Tänzer*innen vorgestellt. Das kurze Stück überzeugte damals durch hohe Präzision mit gleichzeitig ausgefallen abstrakter Formsprache, ohne allerdings eine inhaltliche Dimension jenseits der Form zu eröffnen. Jetzt hatte „Peter I. Tschakowski“ am Samstag mit dem Leipziger Ballett Premiere in der Oper Leipzig. Die Arbeit entstand für das Rijeka Ballett des Kroatischen Nationaltheaters und Soto hat es für Leipzig neu bearbeitet, sodass auch hier mit der choreografischen Uraufführung geworben werden kann.
Der biografische Titel verweist auf einen der großen (Ballett-)Komponisten des 19. Jahrhunderts. Tschaikowski (1840-1893) schuf Opern, Sinfonien, Klavierwerke und natürlich auch die berühmten Ballette „Schwanensee“, „Der Nussknacker“ und „Dornröschen“. Als Kind hochsensibel, wurde er später studierter Jurist, verließ aber die Beamtenlaufbahn zugunsten der Musik, wo er nicht nur als Komponist, sondern auch als Dirigent auftrat. Zudem war er homosexuell, worüber auch seine Ehe mit Antonia Miljukowa nicht hinwegtäuschen konnte.
Soto nähert sich dem Komponisten in den zwei Teilen von zwei unterschiedlichen Perspektiven. Die ersten 45 Minuten nimmt er Briefe von und vor allem an und über Tschaikowski zum Ausgangspunkt der tänzerischen Reflektionen. In sechs Kapiteln gibt es kurze Ausschnitte zu hören: über seine Mutter, von seiner Frau, der Gönnerin Nadeschda von Meck und anderen - in Originalsprache zum Teil live vorgetragen und übertitelt. Dazu kommt zu jeder dieser Szenen ein Musikstück Tschaikowskis, wobei sich Soto nicht in der Ballettliteratur sondern im umfangreichen Konzertwerk bedient, was das Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Mathias Mueller mit Verve aus dem Orchestergraben hervorbringt. Der zweite Teil widmet sich dann in 40 Minuten den Aspekten des Bildes, das öffentlich von Tschaikowski entworfen wird: Seine überlieferte Biografie etwa das Publikum seiner Werke und zu guter Letzt die Duma, wo am Schluss die Tänzer*innen zu puren Schatten werden und im Beinahe Gegenlicht auf knirschenden Fetzen tanzen, die eindrucksvoll wie ein Wasserschwall von oben auf die Bühne geplatzt sind.
Der Zweifelnde und die Gesellschaft
Über diesen Bogen, wenn man die Stationen des Stücks denn so nennen will, arbeitet sich Soto mit seinen Tänzer*innen vom Einzelnen zum Kollektiven vor, vom dem solistischen Staunen über die Welt, über mannigfaltige Zweierbeziehungen bis zu den großen gemeinschaftlichen Auftritten. Wobei dieser Gemeinschaft immer auch etwas Gewalttätiges innewohnt, ein militärischer Zug von Strammstehen, Drill und Disziplin, der natürlich auch das Ballett als Institution mitmeint. Das mechanisch Puppenhafte, das hier zu seiner stärksten Form heranreift, ist gleichzeitig faszinierend wie bedrohlich, wenn etwa die weiblichen Elemente des Corps blumenbekränzt, in langen schwarzen Röcken und Trippelschritten über die Bühne zu schweben scheinen, als hätte man eine kleine Roboterschar losgelassen und die Herren dann gleich in paramilitärischen Formationen folgen. Da stimmt dann einer der Tänzer mitten hinein in die Musik und auch über den Text ein „Bella Ciao“ an. An anderen Stellen rufen sie wild dazwischen oder ein Tänzer schlüpft einmal zu einem kakofonischen Vorträgen in die Astronautenfigur. Beim Bild mit dem Titel „Publikum“ holen alle die Sitzbänke vor, und 25 Beinpaare wechseln wie eine Dominoreihe die Position beim Sitzen, während eine Person ungerührt davon am Bühnenrand sitzt. Einer der späteren Texte des Abend beschwert sich über Makkaroni und fordert Pizza, und zu den biografischen Stationen kriechen die Figuren über die Bühne – da ist keine Entwicklung, keine Evolution, das Selbstbild Tschaikowskis ragt niemals über sich selbst hinaus. Er wird nie wirklich glücklich. Dieser Abend ist keine Verehrung sondern eine Auseinandersetzung.
Allerdings, viele der Assozationsanrisse, die Cayetano Soto hier versammelt, bleiben seltsam unspezifisch und besonders im zweiten Teil gerät das Besondere von Tschaikowski aus dem Blick . So richtig greifen kann der Abend diesen Jahrhundertkomponisten nicht, sondern Soto wandelt vielmehr wie im Schlussbild auf den biografischen Splittern, die er hinterlassen hat, hebt einige auf, lässt andere liegen, und erfreut sich dann weniger an Splittern, denn an deren tänzerischen Reflexionen im wechselnden Licht.
Das Zersplitterte ist aber paradoxerweise, was den Abend zusammen hält, immer in Kombination mit der Lust an Bewegung und Körperkonstellationen. Diese stellen für die Tänzerinnen und Tänzer des Leipziger Balletts ein sehr anspruchsvolles Programm dar, das sie aber scheinbar mühelos meistern, wenn sie das Publikum in dieser Reizüberflutung fröhlich zwinkernd ertränken.
Es tut mir wirklich sehr leid, aber dieses „Stück“ war ein absoluter Reinfall. Wer mit der Erwartung eines Balletts dort hin geht (so wie es beschrieben ist) wird hier herb enttäuscht.
Bei der Premiere sind 1/3 der Menschen nach dem ersten Akt gegangen. Es war eine absolute Absurdität. Wortwörtliches Arschklopfen, schreien und höhnisches Lachen waren Programm. Tschaikowski hat sich im Grab umgedreht bei dieser Schandtat von einem Spektakel.
Wer ein Ballett erwartet wird hier herb enttäuscht. Wer ein Schauspiel mit Geschrei, absurden Bewegungen, Hüft thrusting und co erwartet wird hier wahrscheinlich auf seine Kosten kommen.
Für Fans des klassischen Balletts war das eine herbe Enttäuschung und auch nicht beschrieben von der Leipziger Oper, dass es doch nicht das wird was man sich erhofft.
Sehr sehr schade. Es hätte so schön seien können.
Lieber anonymusdancer,
klassisches Ballett haben die Leipziger hiervtatsächlich nicht geboten, aber diese absurde Körpersprache setz doch ein hohes Maß an Können und Ausbildung voraus, wie es eben nur ausgebildete Tänzer*innen haben. Daher finde ich, dass es im Ballett durchaus seine Berechtigung hat, auch wenn die Anleihen an den zeitgenössischen Tanz unverkennbar sind. Eine beiderseitige Öffnung ist hier sicher nicht das Schlechteste und auch unter Mario Schröder gab es ja mehr auf der Bühne als nur die pure Klassik. Den Drittel Publikumsverlust habe ich nicht so erlebt. Es waren einige wenige, die nicht geblieben sind.
Ich war nicht bei der Premiere da, aber auch als ich es mir ansah sind die meisten recht schnell gegangen - trotz des diversen und ursprünglich interessierten Publikums. Ich verdiene als Student nicht viel Geld und blieb in der unerfüllten Hoffnung auf eine Auflösung, die dem ganzen Sinn ergibt. Soto, der auch mit fast 50 noch als "junger" Choreograph vorgestellt wurde um den Anschein der Modernität zu lassen, hat hier wirklich enttäuscht. Die Vorstellung, wie viel Zeit und Arbeit die Beteiligten in dieses Stück unter seiner Leitung gesteckt haben müssen ist schmerzlich. Ich habe mich auf ein modernes Ballett gefreut, was den technischen Möglichkeiten, aktuellen Themen und der Jugendkultur entspricht mit Tschaikowskis Meisterwerk harmonisch verbindet. Was ich bekam, war ein penetrantes Durcheinander ohne rote Linie, durchzogen mit (hoffentlich ironisch gemeinten aber unverständlichen) Stereotypen und einem so übertriebenen Fokus auf Sexualität, dass die ernsthafte Unterdrückung Homosexueller damit geradezu ins lächerliche gezogen wird. Hat mir ein paar Dicke "How do you do, fellow kids?"-Vibes gegeben.
Das Orchester hat einen großartigen Job gemacht und auch die Tänzer waren mit sehr wenigen Patzern und schwer unterdrückbaren Lachern trotz der wohl sehr anstrengenden Uniform äußerst stark.
Es war eine Erfahrung an sich. Eine Anekdote, die sich lohnt seinen Freunden zu erzählen um darüber zu lachen. Währenddessen war es allerdings geradezu unangenehm sich das anzuschauen und ich kann es wirklich niemandem empfehlen. Das ist das mit Abstand schlechteste moderne (gibt auch klassische auf ähnlichem Level) Ballett, dass ich jemals gesehen habe.
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