„Scholz-Symphonien“ mit dem Leipziger Ballett 

Scholztalgie in Leipzig

„Scholz-Symphonien“ von Uwe Scholz beim Leipziger Ballett

Zum 20. Todestag präsentiert das Leipziger Ballett in „Scholz-Symphonien“ zwei symphonische Arbeiten, wie der Meister selbst sie auf die Bühne gebracht hat. Doch ist die Ballettrevolution von damals eigentlich noch zeitgemäß?

Leipzig, 09/12/2024

Jede Balletcompagnie hat ja so ihre Säulenheiligen. Die Stuttgarter Tradition ist ohne John Cranko nicht denkbar; William Forsythe hatte in Dresden und Frankfurt gar eine nach ihm benannte Company; Hamburg schickte erst jüngst den Ballett-Guru Neumeier in Rente, und in Leipzig war es nach der deutschen Vereinigung Uwe Scholz, der nach Stationen in Zürich und Stuttgart das Ballett der Oper Leipzig neu aufstellte. Zwar wurde sein Traum einer eigenen Leipziger Tanzhochschule nicht Wirklichkeit, doch seine prägende Wirkung und Ausstrahlung sind unumstritten und sein früher Tod erhob ihn postwendend in den Status einer Legende.

Bis zur letzten Spielzeit war mit Mario Schröder der erste Solist von Scholz der Leiter der Company und verwaltete das Erbe vor allem, indem er es weiterentwickelte und hier und da Rekonstruktionen zuließ. Unter der neuen Leitung von Remy Fichet ist nun die Pflege der Scholz-Erbes eine der tragenden Säulen der programmatischen Ausrichtung des Leipziger Balletts und mit den beiden Symphoniestücken „Siebente Symphonie“ von Ludwig van Beethoven und „Zweite Symphonie“ von Robert Schumann – nach „Romeo und Julia“ die zweite eigenständige Premiere der Spielzeit – setzt er diesen Auftrag zu Scholz’ 20. Todestag klar um.

Erst festlich wirbelnd, dann melancholisch

Die beiden Stücke sind bereits 1990 („Zweite“) und 1991 („Siebente“) in Stuttgart entstanden und waren ab 1993 („Siebente“) und 1998 („Zweite“) auch in Leipzig zu sehen. Die Scholz-Expertin Roser Muñoz übernahm jetzt die Einstudierung der Beethoven-Symphonie, während Fichet den Schumann-Part mit der Company umsetzte. Beide haben selbst unter Scholz getanzt. Die musikalische Leitung übernahm Matthias Foremny mit dem Gewandhausorchester, das einen äußerst präzisen musikalischen Rahmen schuf, in dem das Ballett nur noch glänzen musste.

Das tat es denn auch. Zunächst bei Beethoven mit seinem festlich-wirbelnden Melodien, die Scholz’ Ausgangspunkt waren. Den ganzen Abend über fluten die Tänzerinnen und Tänzer die Bühne und verlassen sie ebenso schnell wieder. Ruhelose formvollendete neoklassische Tanzwellen auf Spitze und mit vielen Hebefiguren und noch mehr Pirouetten. Ein Fest des Tanzes und der Musik, das geradezu besinnungslos über die Bühne fegt und bei dem denn auch die ein oder andere Formation nicht ganz so präzise ausgestellt wird, wie eigentlich vorgesehen. Zugleich aber verzichtet das Scholz’sche Ballett auf jeglichen Pomp, sondern setzt im Grunde auf intensiven Minimalismus, den das Leipziger Ballett hier kongenial umzusetzen weiß. Muñoz und später auch Fichet setzen hier auf Scholz pur, selbst Licht und Bühnenbild sind direkt aus den 1990er rekonstruiert. Ja, es würde kaum verwundern, wenn sich noch die Original-Rückwand in den Magazinen gefunden hätte und für diesen Abend lediglich aufgearbeitet worden wäre. Wenn dann am Ende dieses Teil 16 Paare in exakter Formation auf der Bühne stehen und gleichzeitig perfekt abgestimmte Pirouetten drehen, ist das schlicht und einfach beeindruckend.

Schumanns romantische Musik kommt da deutlich düsterer, geheimnisvoller daher, und entsprechend finden sich stärkere Motivbögen auch im Tanz. Wiederkehrende Bilder sind etwa zwei Tänzerinnen am Lichtkreis oder ausführliche Dreier- und Viererkonstellationen. Die Bühnenhintergrundbilder wechseln hier von Satz zu Satz und die blitzartigen Wechsel der Lichtstimmungen von grell zu schummrig. In den langsameren Passagen schaffen die Tänzerinnen (die erstaunlich oft durch die Gegend getragen werden) und Tänzer sich genau aufbauende Formationen, die sich entwickeln und verwandeln, anstatt wie zu dem Beethoven-Feuerwerk nur aufzutauchen und zu verschwinden. So wirkt dieser Teil auf seine Art tiefer und gibt zudem vor allem Yun Kyeong Lee, Madoka Ishikawa, Soojeong Choi und Diana van Godtsenhoven mehr Raum, auch als Solistinnen zu erstrahlen.

Was heißt Erbe?

Bei aller technischen Brillanz und dem lobenswerten Ansatz, Tänzerinnen und Tänzern, die zu dessen Hochzeit noch nicht einmal geboren waren, das Scholz’sche Repertoire nahezubringen, stellt sich doch die Frage, ob eine solche Art der Traditionspflege zeitgemäß ist. Denn der große Aufbruch, den das Werk Scholz zu seiner Zeit darstellte, den frischen Wind, den er mit seiner Neoklassik dem Ballett einhauchte und es geradezu revolutionierte, ist ja tatsächlich ein historisches Verdienst. Schaut man aber heute mit frischem Auge auf diese Symphonien so spürt man doch sehr diesen Geist der 1990er Jahre, denn vieles, was Scholz angestoßen hat, hat sich in den letzten Jahren auch weiterentwickelt. So stellt sich die Frage, wie denn eine Traditionspflege aussehen kann, die nicht nur auf das Konzept Museum setzt. Keine neue Frage im Ballett, die bei jeder Traditionspflege vor dieser Herausforderung steht. In Leipzig saßen vor allem diejenigen mit staunenden Gesichtern im Publikum, die auch damals schon mit dabei waren. Wie man aber jetzt das Feuer weitergibt und nicht nur die Asche bewahrt, um der Gefahr der Musealisierung zu entgehen, darauf liefert dieser erste Abend vom Fichets Scholz-Projekt keine Antworten. Er verschließt sich dieser Frage aber auch nicht.

 

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