Symposium: Rekonstruktion und Nachschöpfung

Zur Frage der Überlieferung von Choreographie - diskutiert unter anderem am Beispiel des Werkes von Marius Petipa

München, 22/01/2007

von Inge Zürner

Die Premiere von „Le Corsaire“ mit diesem Symposium im Anschluss bringt dem Bayerischen Staatsballett München einen Aufmerksamkeitsfokus der Tanzwelt. Denn erstmals im Westen wird eine große Klassikerinszenierung nicht auf der oft vagen, wandelbaren mündlich-praktischen Überlieferung der dramatischen wie choreographischen Formen nachgestaltet oder weitgehend bewusst neugestaltet. Diese neue Fassung von „Le Corsaire“ des Staatsballettes München unter Ivan Liska beruht auf akribisch nachbuchstabierten Aufzeichnungen von Stepanov, einem engen Mitarbeiter der letzten Jahre des großen Schöpfers der Ballettklassik in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Russland - Marius Petipa. Im Revolutionsexodus waren diese Papiere vom Tänzer Nikolai Sergejew in den Westen gebracht worden. Dem amerikanischen Theaterwissenschaftler Doug Fullington ist es gelungen, die persönlichen Tanzschriftzeichen Stepanovs zu entziffern. Mit Hilfe von weiteren Schriften, Aufzeichnungen, Skizzen, Bildern der Papiere im Archiv der Harvard Universität kann er den Verlauf zentraler Szenen rekonstruieren und mit heutigen Tänzern einstudieren. Die in den lückenhaften Papieren nicht enthaltenen Szenen sowie die Ausstattung wurden vom Münchner Regieteam mit dem Bestreben nach größtmöglicher stilistischer Angleichung gestaltet.

Auch in Russland, wo die theaterpraktische Überlieferung bzw. Nachgestaltung durch Sowjetzeiten wesentlich lückenloser besteht als im Westen, geht man nun in ähnlicher Weise auf Archivmaterial zurück. So wurden am Mariinsky Theater St. Petersburg in den letzten Jahren schon „Dornröschen“ und „La Bayadére“ rekonstruiert, in Moskau wird gerade eine Rekonstruktion von „Le Corsaire“ für den Juni 2007 erarbeitet.

In dem zweitägigen Symposium, 27. und 28. Januar, werden nun internationale Tanzfachleute in Vorträgen und Diskussionen Erkenntnisse und Ansichten über das Pro und Kontra verschiedenster Inszenierungsformen zumal der Werke von Petipa austauschen. Dabei wird der konkrete Erfahrungsaustausch von Sergej Wikharev und Pavel Gershenzon, Mariinsky Ballett St. Petersburg, der hauptsächlichen Wirkungsstätte von Marius Petipa, und Yuri Burlaka, Tatjana Belova, Varvara Viazovkina vom Bolschoi Ballett Moskau und den Schöpfern der Münchner Rekonstruktion, Ivan Liska und Doug Fullington, höchst spannend sein, und, zusammen mit weiteren Referaten zu anderen Rekonstruktionsformen, Stoff liefern für Fachgespräche und die Podiumsdiskussion zwischen Theaterpraktikern, Theaterwissenschaftlern und Kritikern.

Samstag, 27. Januar und Sonntag, 28. Januar 2007, jeweils 10.30. bis etwa 16.30 Uhr, Ballett Probenhaus, Platzl 7

 

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