Mit seiner Kamera kann Gert Weigelt auch mal einen Bodenbelag zum Solisten machen
Reisesplitter aus Berlin
„April in Paris, chestnuts in blossom“ so geht doch der einschmeichelnde Song von Vernon Duke? Ich war da Ende April und es stimmte: die Kastanien standen in voller Blüte. „Holiday tables under the trees“ geht es dann weiter. Dass man an diesen holiday tables einen gewöhnlichen Grand Crème kaum noch unter vier Euro fuffzig serviert bekommt, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Aber wer regt sich über überhöhte Preise auf, wenn er „gratuit“ in die Grand Opéra kommt? Wie schon bei meinem letzten Reisesplitter mit Baryschnikow in Stockholm stand auch jetzt Mats Ek als Choreograf wieder im Mittelpunkt. Die Kompanie der Pariser Oper kaufte zwei Stücke des Schweden ein: „Bernarda Albas Haus“ von 1978 und „Une sorte de... „ aus dem Jahre 1997 (Original: „en slags...“, deutscher Titel: „eine Art von…“) Schon lange ist die Pariser Truppe dafür bekannt, dass sie den Anschluss an den zeitgenössischen Tanz zu halten versucht, z.B. mit Pina Bausch und William Forsythe, und nicht nur Hüter des klassisch romantischen Erbes sein möchte. Vor etlichen Jahren schon studierte Mats Ek seine „Giselle“ dort ein und man konnte sie, einen Tag zeitversetzt, mit der romantischen Fassung nach Jules Perrot vergleichen. Welch ungeheuerlich bereichernder Kulturluxus! Ich war angenehm überrascht über die Attacke und das Stilempfinden der Franzosen. Insgesamt fünf choreografische Assistenten schienen mit den handverlesenen Tänzern gute Arbeit geleistet zu haben und der Segen des Choreografen in der letzten Woche tat das Seine.
Nun bin ich leider mit dem Makel der frühen Geburt behaftet, will sagen, ich habe beide Stücke in den jeweiligen Originalbesetzungen gesehen. Natürlich weiß ich, dass solche Vergleiche immer ungerecht sein müssen. Damals war eben auch eine andere Zeit und die Stücke hatten bei der Entstehung den Vorteil des Überrumpelungseffekts, der heute so nicht mehr gegeben ist. Vor allem bei „Bernarda“ sah ich dauernd die damaligen Protagonisten vor meinem inneren Auge: Sighilt Pahl als Jüngste, Daniela Malusardi als Bucklige, Luc Bouy als Bernarda, Ana Laguna in der Rolle der Hausmagd, um nur ein paar zu nennen.
In beiden Stücken war das Aufgebot an Étoiles beachtlich, und dass ein „Danseur Noble“ reinsten Wassers wie Manuel Legris diese Bernarda verkörpern kann, spricht für seine Künstlerschaft und seine Intelligenz. Wenn man dann noch sein mögliches Alter nachrechnet und auf fast Mitte vierzig kommt, dann möchte man sich noch tiefer verneigen.
In „Une sorte de…“ waren die Schatten der NDT-Besetzung kaum mehr dominant (Paul Lightfoot, Elke Schepers). Es war wirklich eine große Freude zu sehen, wie sich die Tänzer von dem Drive der Górecki-Musik mitreißen ließen und man sah ihnen den Spaß an der großen Herausforderung an. Insgesamt also eine positive Bilanz des Ausflugs an die Seine, zumal ich (als Bonus sozusagen) im berühmten Ballettstudio in der Kuppel eine Probe von „Ställe“ mit Baryschnikow und Laguna sehen konnte. „Misha“ war aus NYC angereist, um das nächste Gastspiel des Stückes vorzubereiten. Er hatte übrigens auch seine Kamera dabei, mit der er „Bernarda“ fotografierte. Sicherlich bekommen wir das Ergebnis bald als Ausstellung in einer der Metropolen dieser Welt zu sehen - hatte er sich doch vor geraumer Zeit als Fotografenkollege geoutet. Apropos Ausstellung: Im Musée d'Orsay konnte ich noch die Degas bewundern. Ganz nah am Originalschauplatz der Entstehung, entfalten sie nochmal eine zusätzliche Wirkung. „C'est si bon...“ - aber das ist wieder ein anderes Chanson.
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