Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Am 28. Februar nimmt das Hamburg Ballett „Othello“ wieder auf. Isabel Winklbauer sprach mit Gamal Gouda, der 1985 John Neumeiers erste Besetzung für die Hauptrolle war und mit Gigi Hyatt als Desdemona die Premiere tanzte. Der Ägypter Gamal Gouda (49) lebt heute als Ballettmeister des Bayerischen Staatsballetts in München. Er ist verheiratet und hat einen elfjährigen Sohn.
Redaktion: Was bedeutet Ihnen „Othello“?
Gamal Gouda: Othello war die wichtigste Rolle, die John Neumeier für mich kreiert hat. Die Zeit der Kreation mit John Neumeier, Gigi Hyatt und Max Midinet als Jago war eine der schönsten und fruchtbarsten meines Lebens. Die Besetzung stimmte damals perfekt, die Arbeit ging fließend und leicht. Auch deshalb, weil John uns viel Freiheit ließ. Es gab kaum schwierige Momente. Das war einzigartig.
Redaktion: Erinnern Sie sich an die intensivsten Momente?
Gamal Gouda: Da fällt mir gleich der der Pas de deux im ersten Akt ein. In ihm schenkt Othello Desdemona das Tuch, das seine Mutter schon von seinem Vater bekam und mit ihm all seine Liebe. Er lässt es sich durch Desdemona von den Hüften abwickeln, zuletzt trägt sie es – seine Gefühle machen ihn nackt, er gibt ihr alles, wie in einer Zeremonie der reinen, jungen Liebe. Die Musik dazu stammt von Arvo Pärt, „Mirror in a Mirror“. Sie gibt ein sehr langsames Tempo vor, alles passiert wie in Zeitlupe. Bei den Proben fühlten wir so eine Harmonie, das war einmalig.
Redaktion: Auf welche Szenen darf sich das Publikum noch freuen?
Gamal Gouda: Der tragische Mord ist als Gegenstück zur Tuch-Szene natürlich bedeutend. Es gibt aber auch im ersten Akt eine schöne Szene für Othello. Brabantio beschuldigt ihn, und er verteidigt sich darauf hin in Form eines stillen Solos. Diese Szene erfordert viel innere Kraft und lässt sich sehr individuell gestalten. Es wird bestimmt spannend zu sehen, wie Amilcar Moret Gonzales sie interpretiert.
Redaktion: Worum dreht sich Neumeiers „Othello“ im Wesentlichen?
Gamal Gouda: Einerseits um Eifersucht. Nicht nur um die, die Othello empfindet, sondern auch um die, die er weckt. Als Mohr ist er ein Außenseiter, der sich trotzdem einen hohen Rang verdient hat, treue Freunde und die Liebe einer schönen Frau. Das weckt die Missgunst seiner Umgebung, vor allem Jagos. Das Ballett dreht sich aber auch um das Bild, das zwei Liebende von einander haben. Desdemona sieht Othello als wilden Krieger, er sie als Liebesideal, rein und frisch wie Botticellis Frühling. Diese Bilder werden von Intrigen und Wahn zerstört.
Redaktion: Worin liegt für Sie die Tragik Othellos?
Gamal Gouda: Wäre er nicht so zornig über die ständige rassistische Diskriminierung, die er erfährt, wäre er nicht so empfindlich gegenüber Angriffen auf seine Ehre. Andererseits muss er als Außenseiter seine Ehrenhaftigkeit ja hundertprozentig wahren – und also zornig werden, wenn man ihn lächerlich macht. Diese Schwäche nutzt Jago gezielt aus.
Redaktion: Kennen Sie Amilcar Moret Gonzales und Hélène Bouchet, die die Premiere tanzen?
Gamal Gouda: Ich habe Amilcar vor Jahren im Training kennen gelernt, als ich noch Gastlehrer in München war. Sein Abderakhman in Ray Barras „Raymonda“ hat mich sehr beeindruckt. Dann ging er mit seiner Partnerin Kusha Alexi nach Monte Carlo und Zürich. Als ich schließlich hörte, dass die beiden nach Hamburg wechseln, war mein erster Gedanke: Vielleicht gibt es jetzt eine Othello-Wiederaufnahme! Hélène Bouchet kenne ich nicht persönlich, aber den Fotos zufolge scheint sie eine sehr berührende Desdemona zu sein.
Redaktion: Wissen Sie, warum John Neumeier so lange mit der Wiederaufnahme gewartet hat?
Gamal Gouda: Wie gesagt war „Othello“ für mich etwas ganz Besonderes, weil der Arbeitsprozess so harmonisch war. Ich kann mir vorstellen, dass es aus demselben Grund auch für ihn etwas ganz Spezielles ist. Vielleicht wollte er auf den richtigen Tänzer warten.
Redaktion: Waren Sie an der Neueinstudierung beteiligt?
Gamal Gouda: Nein. Aber ich würde jederzeit gerne helfen.
Redaktion: Das ist schade.
Gamal Gouda: Ich verstehe das ein wenig. Johns Arbeitsweise ist immer sehr persönlich, er ist den Tänzern selbst sehr nah. Genau das ist ja das Tolle an ihm. Außerdem möchte er vermutlich Neuem eine Chance geben, nicht den alten „Othello“ exakt wiederholen. Ich schicke also im Geiste meine allerbesten Wünsche für die Premiere. Leider muss ich ausgerechnet an diesem Tag arbeiten. Aber ich sehe mir „Othello“ am 2. März an.
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