Grande-Dame des Deutschen Tanztheaters
Reinhild Hoffmann feiert ihren 80. Geburtstag
Zehn Tänzer*innen am Staatstheater in Oldenburg als Tanzcompagnie Oldenburg, zehn am Theater Bremen als Tanztheater Bremen – ergibt seit Beginn dieser Spielzeit nordwest-tanz, geleitet von Honne Dohrmann und Patricia Stöckemann. Dazu leisten sich die Häuser je einen Hauschoreografen: Jan Pusch in Oldenburg, Urs Dietrich in Bremen (dort vorher Tanzchef), die jeweils ein Stück in dieser Spielzeit produzieren. Zu drei weiteren Produktionen sind Gastchoreografen eingeladen. Darunter fällt eine, bei der die Ensembles zusammen agieren. Pusch und Dietrich schauen in diesem Fall in die Röhre.
Jetzt präsentierte Pusch seine erste Schöpfung „How do you do“ im Bremer Schauspielhaus (Premiere in Oldenburg am 28.10.2007), stellte sich und sein neu zusammengestelltes Ensemble in der Hansestadt vor. Für ihn, der jahrelang als freier Choreograf erfolgreich tätig war, bietet sich nun die Chance auf kontinuierliche Arbeit mit ihm vertrauten Tänzer*innen.
Schon vor dem Beginn befinden sich die fünf Tänzerinnen und fünf Tänzer auf der Bühne, die wie von Schnee bedeckt zu sein scheint, der sich später als Papierschnipsel entpuppt. Gewollt locker unterhalten sie sich, platzieren kniehohe Röhren (Minischeinwerfer) auf der Fläche, gehen hierhin, dorthin. Sie tragen dunkle Kleidung, lange Hosen, Oberteile mit betonten Nähten wie Hausanzüge (Kostüme: Ullinca Schröder). Drei Wände umschließen die Szene. „Wo ist vorn?“, startet eine Tänzerin die „Aktion“ zu Klacken und Ratschen aus den Lautsprechern (Musik: Beat Halberschmidt) und beklagt die schwierige Kommunikation. Daraus resultiert: „Vorzuweisen haben wir nichts.“ Begleitet von ruckartigen Ausweichbewegungen wiederholt sie die Textsequenz. Kollegen von ihr übernehmen in Russisch (?), Spanisch, Italienisch, Französisch und Englisch – und was weiß ich noch. Witzig die Engländerin, die am Rande eines nervous breakdown mit Worten, Gesten und Körperreaktionen balanciert.
Stolz tritt eine Schöne nach vorn: „La seule solution c’est moi“ – Aha. Aber es geht weiter: „I am the queen of the world.” Soso. Auffordernd streckt sie ihre Hand mehrere Male zum Publikum hin – aber keiner mag ihr mit einem Handkuss huldigen. Da entfaltet sie eben eine groteske Kussorgie am eigenen Körper.
Acht hüllen sich in farbige Decken, bewegen sich wie bei einem sakralen Ereignis. Mit dem zusammengerollten Stoff schieben sie wie eine Putzkolonne die weißen Schnipsel von der Bühne vor die erste Zuschauerreihe, legen sie den schwarzen Tanzteppich frei. Nur eine bleibt in der Mitte stehen auf einer gefalteten Decke, wie auf einer Insel. „Klein, aber fein“, meint sie und streckt und dehnt sich unter Gebrabbel darauf aus. Halberschmidts Musik schreitet dem Geschehen voraus oder begleitet mit motorischen Motivwiederholungen, Klangflächen, markigem Beat, mit Flirren, Knacken, Ratschen. Beim ersten Hören hat sich mir aus dem tonfarbenreichen Ablauf kein übergreifender Bogen erschlossen.
Die Wände (Bühne: Geelke Gaycken) verwandeln sich durch raffinierte Beleuchtung zu nach innen geneigten, netzartig strukturierten Schrägen: Sie schaffen eine bedrohliche Bunkeratmosphäre, verstärkt durch die Schatten der agierenden Tänzer*innen. Stimmungsaugenblicke, Momentaufnahmen reihen sich aneinander, die Anfangsworte werden hier und da wiederholt, die Abfolge scheint mir ziemlich beliebig. Jede(r) darf sich mit einem Solo beweisen. Da sich mir die Reihenfolge der Soli nicht dramaturgisch begründet scheint – Stringenz ist sonst eine herausragende Stärke von Pusch - , wirken die Einzelleistungen eher ermüdend. Eine herausragende Tänzerpersönlichkeit schält sich (noch) nicht heraus, solides bis gutes Handwerk liefert die Compagnie ab, ist konzentriert bei der Sache. Stürzen, Rollen, Bodenarbeit und „aufrechte“ Bewegungsfolgen, mit wenigen Sprüngen, werden sauber absolviert. Herausragend das Schlag-, Tret- und Fallduo, in dem Frau und Mann immer wieder die „I’m sorry“ als Floskel verwenden, der noch härtere Attacken folgen. Sein Fuß landet wie versehentlich an ihrem Kopf, ihre Hand trifft wie zufällig ein Weichteil an seinem Körper, ihre Leiber verstricken sich zu scheinbar schmerzhaften Verzerrungen. Immer heftiger wird das aggressive Aufeinander-Losgehen, immer schneller folgen die Zusammenstöße, bis das wilde Treiben mit einer Hebung und seinem gellenden „I’m sorry“ im Blackout endet – und spontanen Beifall im voll besetzen Haus herausfordert. Hier zeigt sich Puschs Begabung zu knackigen, auf die Tänzer*innen zugeschnittenen Bewegungsfolgen mit Gefühl für die mitreißende Steigerung.
Zum Ende hin liefert Pusch eine Rhythmusstudie, bei der der ganze Körper, einschließlich der Gliedmaßen, eingesetzt wird auf dem Boden, im Stehen, Hocken – präzise ausgeführt von der gesamten Truppe. Es wirkt, als wollte Pusch austesten, wie weit er mit seinem Ensemble gehen kann, wo dessen Grenzen liegen. Im Finale packen die Tänzer/innen sich zwei Handvoll des weißen Materials, entern die Bühne und werfen es effektvoll zu einer Wolke in die Luft. Sehr großer Beifall.
Pusch hat mit „How do you do“ eine Fingerübung abgeliefert, nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich muss er, der bisher meist mit wenigen arbeitete, sich zum einen an eine größere Gruppe gewöhnen und zum anderen die individuellen Fähigkeiten seiner Tänzer*innen herausfinden – und seine choreografischen Mittel daraufhin ausrichten. Bedauerlich empfinde ich es, dass im Programmheft nicht wenigstens ein grober Plan des Ablaufs mit den dazugehörigen Musiken von Halberschmidt und den jeweiligen Tänzernamen abgedruckt ist. So wäre das Publikum vom Verständnis her näher dran.
Premiere in Bremen: 18.01.2008
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