Kunst der Verzauberung
Die Jubiläumsausgabe von Think Big!, dem Festival für junges Publikum in München, lädt zum Träumen ein und hält den Spiegel vor
Was für ein Ansturm auf die Münchner Muffathalle! Auf dem Tanzwerkstatt-Europa-Programm: „Very Very“ von Cristina Caprioli. Die in Schweden etablierte Italienerin hat in den 80er Jahren als Pädagogin und Choreografin für die Iwanson-Schule/Company der Münchner Tanzszene kreative Impulse gegeben. Jetzt wollten natürlich alle sehen, wie sie sich seitdem entwickelt hat.
Nach Simone Aughterlonys aus einem neo-naiven Pfadfindergeist gefundenen Gruppenbildern mit chorischem Trivial-Text ist Capriolis Frauen-Duett endlich wieder hochgradig gearbeiteter Tanz. Sie verblüfft zwar nicht mit Neuem. Ihre Sprache (hier zumindest) schreibt sich eindeutig her von einer verschlankten, vernüchterten Neoklassik aus der Tradition von US-Altmeister Merce Cunningham: hohe, nach vorne, seitlich oder nach hinten in die Arabesque geworfene Beine, rigide gesetzte/geführte oder in ihrer vollen Länge kreisende Arme. Traumsicher und präzisionsperfekt in diesem Schlank-Vokabular aufgehend bewegen sich ihre beiden Tänzerinnen auf einem „Lichtteppich“. Bühnen-/ Lichtdesigner Jens Sethzman lässt ihn entstehen als hellen langen „Schlagschatten“ eines fußballtorgroßen, mit dunklen Senkrechtstreifen verfremdeten Spiegels, der, Zusatzeffekt, die tanzenden Körper illusionistisch zum Trio oder Quartett verdichtet. Das ist so grandios streng schön wie Capriolis minimalistische Choreografie, mit der sie anknüpft an die bedeutenden US-Minimalistinnen Lucinda Childs und Laura Dean. Ihre 60 Minuten gehen wohl an die Grenzen von Zuschauers Konzentrationsvermögen. Aber bei Ryoji Ikedas rhythmisch-geräuschigem Elektronik-Klangraum und Capriolis filigranst variierten Bewegungs-Wiederholungen gab man sich doch willig dem Sog des rein formalen Tanzes hin.
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