Im Piraten-Abo der Münchner Staatsoper

Zum 19. Mal „Le Corsaire“ beim Bayerischen Staatsballett

oe
München, 31/03/2008

Ein ausverkauftes Haus garantiert Petipa auch in München nicht. Obgleich er dort inzwischen mit Mozart, Wagner und Strauss zu den Säulenheiligen des Repertoires gehört. Wie sonst bei keiner anderen unserer deutschen Ballettkompanien. Denn keine andere hat auch „Le Corsaire“ im Programm. Der an diesem Abend immerhin seine 19. Vorstellung seit der Premiere am 26. Januar 2007 erlebt.

Sehr zur Genugtuung des Publikums, das allerdings seinen Zwischenbeifall sehr zögerlich dosierte und bis zur Ali-Variation im Pas de deux (alias Pas de trois) mit seinem Ermutigungsapplaus wartete. Es war eben eine typische Abo-Repertoirevorstellung. Nur wer den Besetzungszettel genau studiert hatte, war sich bewusst, dass Bayern-Chef Ivan Liška höchstpersönlich mitmimte – als Iman. Erkannt habe ich ihn trotzdem nicht.

Jedenfalls haben die Staatsbayern ihren Petipa inzwischen gründlich verinnerlicht. Indem sie den Marseille-St. Petersburger von der Newa an die Isar heimgeholt haben. Das zeigte sich besonders in den Massenszenen – ob am Markt oder im Harem von Andrinopel – im hübschen Dekor von Roger Kirk wie ein Blick in ein angegilbtes Souveniralbum aus dem 19. Jahrhundert. Sie haben inzwischen eine Selbstverständlichkeit gewonnen – jenseits von aller pantomimischen Gespreiztheit. Das tanzen die Münchner inzwischen wie die Dänen ihren Bournonville-„Napoli“-Markt. Voilà! Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht. Nicht ganz so turbulent wie der „Don Quixote“ in Zürich – oder gar der aus Moskau. Aber das liegt an Petipa – nicht an Liška. An seinen ausufernden Divertissementeinlagen, die mir allerdings gestern, als ich „Le Corsaire“ noch einmal in einer Londoner Amateur-DVD-Aufnahme vom dortigen Bolschoi-Gastspiel im letzten Sommer gesehen habe, ziemlich auf die Nerven gingen (so toll sie auch getanzt wurden).

Die Münchner Version erscheint mir wesentlich konziser und dramaturgisch stringenter als die berühmte Moskauer Ratmansky/Burlaka Einstudierung. Nicht zuletzt wegen ihrer erfolgreichen pantomimischen Schlankheitskur – und natürlich wegen ihrer Kürzungen (Beispiel: Norbert Grafs sehr eleganter Sklavenhändler). Getanzt wird in München mit gewinnender Ensemblehomogenität, besonders in den temperamentvollen Männerensembles. Die Ladies gehen mir ein bisschen auf den Wecker – diese ewigen Sklavinnen, Haremsdamen, Odalisken etc. – aber das liegt an Petipa – auch in dem berühmten „Jardin animé“, in dem er fast ganz auf die Männer verzichtet – nur immer diese Blumenmädchen und Wonneproppen aus der Schule, die ihre Auftritte natürlich mit Gusto präsentieren.

Mit den individuellen Rollenbesetzungen werde ich auch in dieser, meiner dritten Münchner „Corsaire“-Vorstellung nicht besonders glücklich. Von Münchens Wunder-Eriwaner Tigran Mikayelyn als Konrad hatte ich mir mehr draufgängerischen Schneid erhofft – ein anderer Tschabukiani ist er wohl doch nicht. An piraterischer Ferozität war ihm Cyril Pierre als schurkischer Birbanto eindeutig überlegen. So konnte sich Marlon Dino als fabelhaft sprungelastischer Ali leicht den ersten spontanen Szenenapplaus holen. Nach Fonteyn und Nurejew, die für den Westen den Modellfall des „Korsaren“-Pas-de-deux präsentiert haben, fällt es ihren Nachfolgern offenbar verdammt schwer, ihn so sexy zu servieren, wie wir das von diesem Bravourstück erwarten (auch wenn es nicht wirklich von Petipa stammt).

Nach Cullum und Lacarra ist Roberta Fernandes sicher die eleganteste der Münchner Medoras – nur: eine richtige Piratenbraut (wie die Seeräuber-Jenny in der „Dreigroschenoper“), die mit ihrem Konrad bereit ist, auch in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen, ist sie nicht – zu ladyhaft gestylt, zu unerotisch – dabei technisch nicht so sicher (ihr mehrfaches Abknicken, ihre Wander-Fouettés), wie man es in dieser kapitalen Ballerinenrolle erwartet. Endlich etwas femininen augen- und fußzwinkernden Charme entwickelt sie in ihrer Military-Polka in zweiten Akt (hat Petipa hier bei Bournonville geklaut – oder Bournonville bereits bei Fanny Elsslers „Tyrolienne“?). Séverine Ferrolier als Gulnara – na ja, aber da steckt doch wesentlich mehr an nonchalanter Koketterie in der Rolle, gerade auch im Gegensatz zu der so züchtigen Medora, mehr Verführungspotenzial à la „Scheherazade“. Alles in allem: nach Malakhovs Wien-Berliner „Bayadère“ und Spoerlis Zürcher „Don Quixote“ ist Liškas Münchner „Le Corsaire“ sicher die unterhaltsamste Petipa-Produktion auf dem deutsch-österreichisch-Schweizer Theater. Indessen warten wir dringend auf den überfälligen Stuttgarter „Le Corsaire“ – zumal mit der Stuttgarter Männerequipe (und vorzugsweise mit Wolfgang Oberender als Gastdramaturgen). Herr Anderson, please listen!

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