Fo(e)rderungen
Deutscher Tanzpreis 2023 mit Barcamp in Essen
Ana Laguna und Michail Baryschnikow als Paar in Mats Eks „Place“
Natürlich war diese Vorstellung gleich nach Vorverkaufsbeginn ausverkauft. Natürlich wollte jeder Tanzbegeisterte - ob Profi oder Laie – das Duett „Place“ von Mats Ek sehen. Natürlich vor allem wegen Ana Laguna und Michail Baryschnikow, die sich mit dieser anrührenden Episode aus dem Leben eines älteren Paares von Festival zu Festival tanzen. Natürlich applaudierten alle mit stehenden Ovationen. Denn das ist das Besondere, wenn die ganz Großen des Balletts Szenen tanzen, die ihnen sozusagen auf den Leib choreografiert wurden, nachdem sie längst den Zenith ihrer Körperkunst überschritten haben: mögen ihre Kräfte schwinden, ihre Persönlichkeit wächst.
So machte Baryschnikow durchaus keinen Hehl aus seiner Erschöpfung – nicht nur in den Momenten, die Ek so choreografiert hat: wenn sich der alte Mann plötzlich ans Herz greift, wie tot zusammenbricht, sich mühsam aufrappelt. Und Ana Laguna scheut sich keineswegs, etwas schrullig aufzutreten und hinreißend selbstironisch mit Blicken, Gesten und Rocksaumlüpfen zu kokettieren, als wäre sie ein junges Ding, das den schönsten Mann der Welt für sich erobern möchte.
Vier Stunden dauerte das Tanzfest auf PACT Zollverein und brachte auch Wiederholungen aus anderen ITF-Programmen, darunter und darüber hinaus ein paar Glanzpunkte. Fernöstliche Poesie zauberten fünf weiße Frauen zwischen Raffgier und Anlehnungsbedürftigkeit in Jia Wus „The Other Shore“ auf die Bühne. Kontrastierend dazu, dynamisch und düster, wirkte der Ausschnitt für drei Tänzerinnen und zwei Tänzer aus „Rite of Spring“ (Sacre du Printemps) des israelischen Choreografen Emanuel Gat. Von den Duetten begeisterte vor allem die grandios virtuos witzige Kostprobe aus „Amjad“ des Kanadiers Édouard Lock. Solistisch glänzten Ditta Miranda Jasjfi („Vollmond“ von Pina Bausch), Huang Pei-hua („Moon Water“ von Lin Hwai-min aus Taipeh) und Sawami Fukuoka (in Emio Grecos eher schrecklicher „Hölle“ aus Amsterdam).
Am Wochenende geht das dreiwöchige „Internationale Tanzfestival NRW“ in Wuppertal, Düsseldorf und Essen zu Ende. Vom ursprünglichen Anspruch und Glanz der Biennale ist wenig geblieben. Natürlich gab es Höhe- und Glanzpunkte, aber unterm Strich überwiegt die Enttäuschung über ein Angebot wie in einem Gemischtwarenladen. So hatte man gerade die deutsche Erstaufführung von De Keersmaekers „Zeitung“ bei PACT Zollverein erlebt und die Uraufführung von Alain Platels „pitié!“ im Rahmen der RuhrTriennale in Bochum. Sasha Waltz als einzige Repräsentantin deutschen Tanzes und wieder so viele andere längst bekannte Gäste von fern, die keine neuen Tanzeinblicke boten, dazu eine Reihung von Soli und Duetten wie bei einem Choreografischen Wettbewerb...
Wie hektisch das Programm für die 70 Vorstellungen in den drei rheinischen Städten von „Tanzland NRW“ - wieder also keine Einbeziehung des nördlichen Landesteils Westfalen! – zusammengestellt worden war, zeigten Änderungen, Ankündigungen, Absagen und auch die lieblos und fehlerhaft gedruckten Abendprogramm-Zettel – eine Loseblattsammlung des Festivalsbuchs. Beliebigkeit anstelle von Dramaturgie. Dabei lag das Thema ja auf der Hand mit dem Stichwort „fest-mit-pina“ (so der Internet-Auftritt des ITF 2008). Hatte die künstlerische Leiterin nicht großzügigst Aufführungen von acht ihrer Stücke durch das „Tanztheater Wuppertal“ angeboten? Dazu „Kontakthof“ mit Teenagern und „Orpheus und Eurydike“ vom Pariser Opernballett und Soli aus neueren Stücken, von Ensemble-Mitgliedern präsentiert oder mit Gästen wie Ana Laguna und Diana Vishneva einstudiert. Schließlich setzt Peter Pabsts Ausstellung "räume träume" mit sechs Bühnenräumen zu Bausch-Stücken und Fotos von Guy Delahaye im Museum Bochum einen außergewöhnlich aparten Akzent. Das wäre ein volles, tolles Programm gewesen, eine runde Sache allemal – ein wirkliches Fest in der Flut heutiger Festivalitis.
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