Josephs Wiedergeburt und neu anklingende Feste

„Josephs Legende“ und „Verklungene Feste“ nach Musik von Richard Strauss

Hamburg, 01/07/2008

Dreißig Jahre ist es her, dass John Neumeier sich mehr widerstrebend als willig der Legende um Joseph angenommen hat, den Hirtenjungen und späteren Traumdeuter des Pharaos, der Ägypten vor dem Untergang in den sieben Jahren der Dürre bewahrt, indem er Vorratshaltung in den sieben fetten Jahren des Überflusses empfiehlt. Kernstück von „Josephs Legende“ jedoch ist nicht diese Bestimmung, sondern eine Episode an Potiphars Hof, wohin der Hirtenjunge Joseph von Sklavenhändlern verschleppt wird. Dort begegnet er Potiphars Weib, die – der höfischen Dekadenz überdrüssig – unzufrieden mit sich und der Welt in den Tag hinein lebt. Der naive, schöne Jüngling, den bereits der Nimbus des zu Höherem Berufenen umgibt, wird für die verwöhnte, aber in sich und ihrer Einsamkeit gefangenen Diva zum Objekt ihrer ungestillten Begierde – körperlich, seelisch, geistig. Doch es kommt, wie es kommen muss: Potiphar entdeckt die beiden, sein Weib gibt vor, von Joseph vergewaltigt worden zu sein, schützt ihn dann aber doch vor der Folter, so dass er durch den Engel seiner eigentlichen Bestimmung in Ägypten zugeführt werden kann.

Dank einer sehr kargen Bühne vor vorwiegend blauem Hintergrund, wo nur wenige Requisiten wie ein Kronleuchter und ein hingeworfener Teppich sowie die wunderbar schlichte Eleganz der Kleider (Kostüme: Albert Kriemler, Chefdesigner der Modefirma Akris) feudale Akzente setzen, reduziert Neumeier dieses zum Schwül-Schwülstigen neigende Stück auf das Wesentliche: die Begegnung zwischen Joseph (strahlend jünglingshaft: Alexandre Riabko) und Potiphars Weib. Kusha Alexi erlebte in dieser Rolle, wie Neumeier es bei der Premierenfeier zutreffend ausdrückte, „eine Sternstunde ihrer Karriere“. Anfangs noch eher verhalten, mit gebremstem Schaum agierend, gibt sie in der Verführungsszene mit Joseph alles. Die 31-jährige Tänzerin hat sich damit nach langer Eingewöhnungszeit endlich ihr Publikum erobert. Edvin Revazov schenkt dem Engel neutrale Transparenz, Amilcar Moret Gonzalez verleiht Potiphar eine feine, adlige Noblesse.

Die voluminöse, stellenweise fast orgiastische Musik von Richard Strauss spielen die Hamburger Philharmoniker mit dem nötigen Pathos, in den leisen Stellen aber auch mit ausgeprägter Feinfühligkeit. Christoph Eberle, der als Dirigent für das Ballett in Hamburg seinen Einstand gab, muss in diese Aufgabe erst noch hineinwachsen und vor allem nicht nur der Partitur, sondern der Bühne mehr Aufmerksamkeit schenken. Neumeier kombiniert „Josephs Legende“ mit einem selten aufgeführten Werk für Ballett nach Tanzmusik von François Couperin, die Richard Strauss für Orchester bearbeitet hat: „Verklungene Feste“. Es ist die innere Verwandtschaft zwischen beiden Stücken, die diesen Abend auf faszinierende Weise zusammenschmiedet.

Die Idee zu „Josephs Legende“ entsprang einem Gala-Souper im Paris des frühen 20. Jahrhunderts (siehe tanznetz.de vom 19. Juni 2008), und genau daran setzen die „Verklungenen Feste“ an: im Bühnenhintergrund eine lange Tafel voller Geschirr und leerer Flaschen vor goldenen Wänden. Während sich fünf Paare und die 14-köpfige Gruppe zu Charakter- und Bewegungsstudien verweben, wird im Hintergrund aufgeräumt: Nach und nach verschwinden Champagnergläser, leere Flaschen, Tischdecke, Stühle; die Männer tragen plötzlich Soldaten-Jacken, die vergoldeten Wände mutieren zu kargen Backsteinmauern. Es hat sich ausgefeiert – sowohl am Vorabend des ersten Weltkriegs, als „Josephs Legende“ geboren wurde, als auch 1941, mitten im zweiten Weltkrieg, bei der Premiere der „Verklungenen Feste“.

Mit 18 Tänzen zeichnet Neumeier hier ein zeitloses Bewegungs- und Begegnungs-Szenario, dessen Choreografie deutlich von den Qualitäten seiner Solisten beeinflusst wurde, die hier zu Hochform auflaufen: ausgelassen-spritzig Hélène Bouchet und Thiago Bordin, nachdenklich-melancholisch Joëlle Boulogne und Ivan Urban, sprühend-funkelnd Silvia Azzoni und Peter Dingle, vornehm-elegant Catherine Dumont und Carsten Jung, ungestüm-frech Carolina Agüero und Yohan Stegli, assistiert von einem glänzend aufgelegten Ensemble. Bestechend auch hier die in verschiedenen Rottönen gehaltenen schlichten Kostüme (wiederum von Albert Kriemler) und die ausgefeilte Lichtregie, für die ebenso wie für Bühnenbild und Inszenierung John Neumeier selbst verantwortlich zeichnet. Am eindrücklichsten bleibt das Schlussbild: alle fünf Paare vor der Backsteinmauer – jeder für sich allein, mitten in der Bewegung erstarrt. The party is over.

Weitere Vorstellungen am 1. und 11. Juli 2008.

Link: www.hamburgballett.de

 

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