Von Wuppertal in die Welt
Die Pina Bausch Ausstellung ist nun auch in Berlin zu sehen
Der Ort war denkbar günstig gewählt. Zeigt doch der Martin-Gropius-Bau derzeit eine umfassende Retrospektive des israelischen Künstlers Dani Karavan. Einer der rund 20 Räume enthält Modelle jener beiden Bühnenbilder, die er einst für Martha Graham schuf: 1962 „Legend of Judith“, 1965 „Part Real Part Dream“. Videomitschnitte dieser Choreografien und eine 2002 entstandene Plastik „Hommage an Martha Graham“, vier bronzene Bühnenräume mit szenischen Darstellungen, ergänzen die Karavan-Graham-Connection.
Ehe im Juli die Martha Graham Dance Company selbst nach langer Abstinenz die deutsche Hauptstadt beehrt, stellte Janet Eilbers, ihre eigens aus den USA eingeflogene Künstlerische Leiterin, das Gastspielprojekt im Kino des Gropiusbaus vor. Seit den letzten beiden Auftritten in Berlin, 1987 zum 750-jährigen Stadtjubiläum, damals noch mit der greisen Gründerin an der Spitze, und 1996 während des Festivals „Tanz im August“, wiederum in der Komischen Oper, hat die 1926 formierte Company schwere Zeiten durchgemacht. Grahams Tod 1991, mit fast 97, stürzte Amerikas älteste Gruppe für modernen Tanz in einen entwürdigenden Streit um die Rechte an den Choreografien und verhinderte lange, zu lange deren Aufführung. Als Janet Eilber 2005 die Leitung übernahm, waren die Verhältnisse endlich geklärt: Bis auf zwei Werke liegen die Rechte nun wieder bei der Company; ihr 80. Geburtstag konnte 2006 in New York gebührend gefeiert werden.
Für das Berlin-Gastspiel hat die phönixhaft wiedererstandene Truppe zwei Programme zusammengestellt, deren meiste Stücke Tanzgeschichte geschrieben haben und das choreografische Schaffen aus sechs Jahrzehnten spiegeln. Ältester Beitrag ist das Solo „Lamentation“ (1930), das zur Musik Zoltan Kodálys in zeitloser Gültigkeit menschlichen Kummer personifiziert und für Graham einer ihrer ersten Erfolge wurde. Gezeigt wird es in einer filmischen Aufzeichnung mit der Meisterin, erweitert durch live getanzte, zu 9/11 uraufgeführte Variationen dreier gegenwärtiger Choreografen: Eilber will mit diesen und weiteren Aufträgen an internationale Tanzschöpfer Grahams Wirkung ins Heute verlängern und der Company so neue Werke bescheren. Darauf darf man ebenso gespannt sein wie auf die Wiederbegegnung mit den Klassikern jener Jahrhundertkünstlerin, die Kritiker daheim als „Hohepriesterin“ des Tanzes feierten, ein Titel, den ihre deutschen Kollegen bezeichnenderweise bereits früher Mary Wigman beigemessen haben. Der Einfluss der Älteren auf die Jüngere, und möglicherweise auch umgekehrt, ist bekannt – beide wirkten stilprägend auf ihre Weise.
Hatte Graham in den 1930ern zunächst mit einer reinen Damenmannschaft, durch ihre „Americana“, Stücke um Amerikas Werden und den Pioniergeist seiner Frauen, Aufsehen erregt, so wandte sie sich ab den 1940ern verstärkt großen griechischen und biblischen Mythen zu – jetzt mit männlichen Tänzern zwar auch, indes ausschließlich weiblichen Titelheldinnen. So basiert „Errand into the Maze“ (1947), zu Musik von Gian Carlo Menotti und einem Bühnenbild ihres langjährigen Designers Isamu Noguchi, auf der Theseus-Sage, hier freilich aus Ariadnes Sicht und in tiefenpsychologischer Aufbereitung. „Night Journey“ aus demselben Jahr beleuchtet zur Musik William Schumans Iocastes grauses Schicksal; „Cave of the Heart“ (1964), mit Musik von Samuel Barber und wiederum Noguchis Bühne, visualisiert in Grahams aufwühlendem, dramatisch-pathetischem Gestus die Tragödie der Medea; „Embattled Garden“ (1958) schließlich thematisiert in Noguchis Zaubergarten Eden den Verlust der Unschuld am Beispiel des Trios Adam, Lilith, Eva.
Drei weitere Werke offenbaren andere Seiten der bedeutenden Choreografin. Zu „Diversion of Angels“ (1948), Spielarten der Liebe anhand der Lebensalter einer Frau zu gefühlvoller Musik von Norman Dello Joio, gab Kandinskys Malerei die Inspiration. Dass Graham nicht außer ihrer Zeit lebte, beweisen die „Sketches from ‚Chronicle’“: Das ursprünglich 40 Minuten dauernde Antikriegsballett „Chronicle“ schuf Graham 1936 als Reaktion auf die zunehmende Faschisierung Europas. Im selben Jahr hatte sie demonstrativ eine Einladung zu den Olympischen Spielen nach Berlin abgelehnt, auch weil die jüdischen Mitglieder ihrer Company dort nicht willkommen gewesen wären.
Als „Sketches“ wurden nun drei Szenen aus „Chronicle“ revitalisiert. Fast scheint es, als reiche eine geheime Verbindung von Verdi zu Graham: Verabschiedete sich der Italiener im „Falstaff“ mit einem lachenden Auge von der Welt, so zählt „Maple Leaf Rag“ (1990), zu Scott Joplins unverwüstlicher Musik und in Kostümen von Calvin Klein, zu den heitersten Arbeiten der Amerikanerin und wurde überdies ihre letzte vollständig fertig gestellte.
Man darf also neugierig sein, wie sich eine junge Tänzergeneration die starke Emotionalität von Gahams Oeuvre, das die „innere Landschaft der Seele“ in einer genuin amerikanischen Tanzsprache sichtbar machen möchte, anverwandelt. Über Subtexte und Bilder, wie sie es einst bei Graham gelernt haben, versuchen Eilber und ihre internationalen Pädagogen die Tänzer auf die stilistischen und technischen Besonderheiten einzuschwören. Expressiver Ausdruck sei nicht überholt, sagt Janet Eilber und beruft sich auf jene, die sie als – extrem gegensätzliche – Fortführer der Ambitionen Grahams empfindet: Pina Bausch etwa, John Neumeier, Matthew Bourne.
4.-13.7., Staatsoper Unter den Linden
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