Ein Ermöglicher
Ein Nachruf auf Rainer Woihsyk
Die Noverre-Gesellschaft feiert ihr fünfzigjähriges Jubiläum
Als Jean-Georges Noverre 1777 in Paris seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, dürfte er ein wenig nostalgisch auf seine Stuttgarter Jahre von 1760 bis 1766 zurückgeblickt haben (exakt zweihundert Jahre vor John Cranko) – eine frühe Glanzzeit seiner Karriere unter dem herzoglichen Protektorat Carl Eugens, als er solche in die Ballettgeschichte eingegangenen Meisterwerke wie „Antoine et Cléopatre“ „Médée et Jason“, „Orpheus und Eurydike“ und „Der Raub der Proserpina“ schuf – „the scene of his most famous work“, wie es das englische „International Dictionary of Ballet“ auf den Punkt bringt.
Keinerlei Nostalgie an diesem Freitagabend im Stuttgarter Schauspielhaus, als die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft mit ihrem Programm „Junge Choreographen“ ihr fünfzigjähriges Jubiläum feierte. Und wenn es bei dieser Gelegenheit auch keinen neuen Noverre zu entdecken gab, so herrschte doch allgemeine Genugtuung, wie sich dieser von Fritz Höver gegründete Fan-Club um den Ballett-Papa Beriozoff zu einer ersten internationalen Adresse für den Choreografen-Nachwuchs entwickelt hat – inzwischen rund um den Globus vielfach nachgeahmt, ohne doch an das Stuttgarter Markenzeichen heranzureichen. Auf der Doppelseite im Programmheft habe ich bei den Debütanten zwischen Ann-Kathrin Adam und Ivo van Zwieten, die hier ihre Visitenkarte abgegeben haben, schon auf der ersten Seite bei der Nummer fünfzig aufgegeben, da ich ins Straucheln geraten bin – lange bevor die Namen Forsythe, Kylián, Neumeier, Scholz, Goecke und Spuck als Spitze des Stuttgarter Choreografen-Eisbergs aufgetaucht sind.
Ursprünglich rekrutiert aus der Juniorenriege des Stuttgarter Balletts, ist aus dem heimischen Nachwuchs längst eine internationale Bruder- und Schwesternschaft geworden, deren Kandidaten aus allen Erdteilen stammen. Hier als Choreograf debütiert zu haben, ist wie der Examensnachweis einer unserer Eliteuniversitäten. Diesmal kamen sie also aus Buenos Aires (Demis Volpi mit „palpable leers“), Santiago de Chile (Eduardo Yedro mit „Kurze Reise“), Rio de Janeiro (Alex Neoral mit „Pathways“), aus Frankreich (Stéphen Delattre mit „Behind this Shadow“), Tschechien (Jiří Bubeníček mit „Canon in d-moll“) und Italien (via Budapest – Andrea Paolini Merlo mit „Métamorphoses Nocturnes I“) – und sogar ein Deutscher war darunter: Tim Plegge aus Berlin (mit dem sicher überkandideltsten Vier-Tänzer-Stück „speak volumes“, praktiziert mit der nonchalantesten Uneigennützigkeit von den Stuttgarter Solisten Oihane Herrero, Rachele Buriassi, Alexis Oliveira und Matthew Crockard-Villa).
Und dass sich auch unsere Tops nicht zu erhaben sind, sich für diese Gelenkigkeitsübungen ihrer Kollegen zur Verfügung zu stellen, bewiesen Marijn Rademaker (als spöttischer Anmacher in Volpis „palpable leers“) und die jubelnd als Homecomerin gefeierte Bridget Breiner, die wie eine rote Flamme in ihrem Delattre-Solo, das sie gerade erst am Abend zuvor bei Robert Conn in Augsburg kreiert hatte, über die Bühne züngelte. Wenn ich allerdings einen oe zu vergeben hätte, ginge der an Jiří Bubeníček und seinen Pachelbel-„Canon in d-moll“ für drei Tänzer als Teil seiner Zürcher Uraufführung „Le souffle de l'esprit“ – eine Choreografie, die gleichsam aus der Musik heraus fließt, bella danza in ihrer reinsten Form.
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