Individualgruppierungen im Uhrwerk
Sasha Waltz & Guests rücken mit „In C“ die Tänzer*innen ins Bild
Stolz blicke sie zurück auf 15 Jahre ausverkaufter Häuser, sagt Sasha Waltz. Gemeinsam mit Jochen Sandig hatte sie 1993 ihre Kompanie gegründet und im niederländischen Groningen am 18. September mit „Twenty to eight“ die Eröffnungspremiere bestritten. Als das amüsante, tänzerisch originelle Stück um WG-Rangeleien in einer Küche bei der Tanzplattform in Berlin lief, kamen Gastspieleinladungen: die Geburtsstunde ihres Erfolges. Das Projekt wuchs sich zur Trilogie aus, die Miteinander auch in anderen Wohnräumen thematisierte, als „Travelogue“ über 30 Länder bereiste, zum Synonym für Sasha Waltz & Guests wurde.
An „Allee der Kosmonauten“, der Nachfolgeproduktion von 1996, sei, so erinnert sie sich, der Erarbeitungsprozess dieser Momentaufnahme einer Marzahner Plattenmagistrale spannend gewesen: Gespräche mit Anwohnern, für das Stück gedrehte Vor-Ort-Videos. Mit der Premiere hob sich gleichsam der Vorhang über den Sophiensälen als neuer, dank Waltz rege frequentierter Spielstätte. Auch die „wilden Recherchen“ auf dem russischen Land für „Na Zemlje“, mit sechs hinzuengagierten russischen Tänzern, bleiben ihr im Gedächtnis. Und wie schwierig es war, das Jüdische Museum zum Thema Holocaust zu bespielen – einer ihrer Abende aus der Reihe „Dialoge“, die der Improvisation mit Bewegungsmaterial dient.
Nächster Schritt einer weithin wirkenden Karriere wurde die Uraufführung von „Körper“, mit der das Gespann Waltz/Sandig als Teil des neuen Leitungsteams 1999 in die Schaubühne umzog. Wie sehr die Tänzer nach der Aufführung gejubelt haben, weiß Sasha Waltz noch gut; von der Vorstellung selbst hat sie vor Aufregung wenig mitbekommen. Wieder ein Neubeginn: Nach den „Sozialrecherchen“ in den Sophiensälen die Hinwendung zur größeren Form, zu, wie sie sagt, existenziellen Problemen, zur Bewegungsforschung, zum Verhältnis von Tanz und Musik. Ein Stück zu Schuberts „Impromptus“ entsteht und, bis 2002, noch eine Trilogie, diesmal um menschliche Körper. Abschiedsarbeit an der Schaubühne wurde 2005 „Gezeiten“, ein bitterer Zeitkommentar, ihr „Katastrophenstück“. Krisen wie Überflutung von New Orleans, Klimawandel, eigene Grenzerfahrung beim Eingeschlossensein in einem brennenden Dorf auf Korsika brachen sich hier in Bildern einer Weltendemontage tanztheatrale Bahn.
Seit 2004 ist Sasha Waltz & Guests wieder alleiniges Zentrum des Doppels Waltz/Sandig. Besonders drei Arbeiten steigerten die Popularität nochmals: die Choreografie zu Henry Purcells Barockoper „Dido und Aeneas“ 2005 als Koproduktion zwischen Luxemburg, Montpellier und Lindenoper, von Pascal Dusapins Oper „Medea“ nach Heiner Müllers „Medeamaterial“ 2007, das Ballett „Romeo und Julia“ für die Pariser Oper. Sasha Waltz im Spagat zwischen Staatstheater und freier Gruppe, sich selbst treu indes im Fabulieren mit dem eigenen, auf Bildwirkung setzenden Bewegungskanon. Was nur wenigen zeitgenössischen Choreografen gelang, ein Repertoire zu schaffen, darauf hat sie nach eigener Aussage hingearbeitet: über ihr wichtige Themen sprechen und dafür eine Form finden, die Bestand hat. Zwölf feste Tänzer gehören derzeit zur Kompanie, für sie fühlt sie Verantwortung. Mit 4 Millionen Euro, von denen 1,5 Millionen bis 2009 Land und Stadt Berlin aufbringen, der Rest eingespielt wird, ist die Kompanie unterfinanziert. Dennoch will sich Sasha Waltz, namhaft auch als Talenteförderin, auf dem Markt nicht aufreiben, möchte neue Wege gehen, Bewegung wieder anders denken. Jetzt allerdings wird erst einmal gefeiert.
18.9., 21 Uhr, „Waltz this Way!“, Radialsystem V, Holzmarktstr. 33, Friedrichshain, Eintritt frei, Infos unter www.radialsystem.de
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