Tarzan und die Roboter

Uraufführungen von Cayetano Soto, Sabrina Matthews und Eric Gauthier beim Stuttgarter Ballett

Stuttgart, 06/05/2008

Tanz pur im Stuttgarter Kammertheater - es gibt keine Seitenkulissen, kaum ein Bühnenbild und die Tänzer sind zum Greifen nahe. Die „Black Box“ im Gebäude von James Stirlings Neuer Staatsgalerie beherbergt sonst den „Blick hinter die Kulissen“, hier wird sie vom Stuttgarter Ballett nun endlich wieder als ideale Experimentierbühne genutzt, mit einer ganz anderen Perspektive als Opern- oder Schauspielhaus. Manchmal hat so ein Dreispartenbetrieb doch enorme Vorteile. Jetzt fehlen nur noch die Experimente.

Cayetano Soto ist Spanier und verdient nach seiner Tänzerlaufbahn am Münchner Gärtnerplatztheater gerade erste Meriten als Choreograf. In „Two at a time“ variiert er zu einer Art Computer-Folklore des Elektromusikers Kangding Ray und in selbst entworfenen schwarzen Hemdchen das Motiv des Doppelgängers. Sein Stück spielt mit Parallelen und Spiegelungen, aber das nur in der äußeren Struktur. Lange bewegen sich immer mindestens zwei Tänzer exakt gleich, wie bei einem Algorithmus springt die Symmetrie dann weiter - mal die vordere Reihe, mal je drei Paare, mal sechs Tänzer. Dazwischen gibt es mehrere kurze Duos, in denen die Männer die Frauen meist um ihre Mitte fassen und sie kompliziert um sich herumschrauben, als würden die Paare mit den Oberkörpern aneinander kleben.

Der Choreograf verwendet dabei das reichlich bekannte Material der dekonstruierten Neoklassik à la Forsythe, und das sogar recht einfallsreich. Dennoch verharrt er meist in einer hektischen Virtuosität um ihrer selbst Willen. Erst gegen Ende geht es auch um die Manipulation des Gegenüber, so wird Alexander Zaitsev in einer Sequenz von Brent Parolin wie eine ferngesteuerte Marionette gelenkt, Arman Zazyan steuert seine Partnerin Angelina Zuccarini durch Anpusten. Das Stück endet mit gesprochenen Zitat aus Edgar Allan Poe unheimlicher Doppelgänger-Novelle „William Wilson“ - der Text, die letzte Rettung des modernen Choreografen.

Schon bei ihrem Noverre-Debüt 2006 bewies die junge Kanadierin Sabrina Matthews eine besondere Vorliebe für andächtige Musik und religiöse Posen. Ähnlich pathetisch beginnt auch „veil“ („Schleier“), dessen musikalischer Bogen sich von Hildegard von Bingen zu Alfred Schnittke spannt und doch ein elegisches Ganzes ergibt. Abgesehen von der milden Überdosis an Kitsch erweist sich das Stück für zwei Paare als die interessanteste Neuheit des Abends. Obwohl auch sie auf das klassische Material zurückgreift, und das mit gewandter Beredtsamkeit, choreografiert Matthews expressiv, nicht auf den virtuosen Effekt; bei ihr liegt die Bedeutung in den Bewegungen, nicht in der äußeren Struktur, statt nur auf die Akzente der Musik zu reagieren, tritt sie in einen subtilen Dialog mit deren Stimmung. Und vor allem: Sie variiert das Tempo, selbst das langsamste Adagio vibriert noch vor Spannung. Wie schon in ihrem Pas de deux „Soles“ kommen die Tänzer bei Matthews toll raus, ganz speziell die ausdrucksvolle Koreanerin Hyo-Jung Kang.

Etwas einfallslos mutet dagegen die Idee an, den „abtrünnigen“ Eric Gauthier zu seiner alten Kompanie einzuladen, als hätte er im Theaterhaus nicht genügend Gelegenheit zu neuen Taten. Auch die sechs Tänzer von Gauthier Dance hat er ins Kammertheater mitgebracht. Zum passend designten Soundtrack von Jens Peter Abele und vor den überlebensgroßen Trickfilmbildern einer Supernova erzählt Gauthiers „Eclipse“ vom Krieg der Welten. Der Tanzdirektor des Theaterhauses lässt dazu einen naiven Wilden auf vier Robotermenschen treffen, deren Gliedmaßen zu allerlei Maschinengeräuschen ausfahren oder umklappen, in einem Stil zwischen Karate und Slapstick, bevor der lendenbeschurzte Tarzan sie kaputt haut und - Achtung, Stroboskopeffekt - mit seiner Jane sehr anschaulich für Nachwuchs sorgt. Hätten wir nicht alle Eric Gauthier so lieb, man müsste das Stück arg peinlich finden. So bleibt hinter dem (etwas gezwungenen) Lächeln über „Eclipse“ die bange Frage stehen, ob diese Mischung aus Blauäugigkeit und Comedy wirklich die neue Off-Szene des Tanzes in Stuttgart darstellen soll.

Link: www.stuttgart-ballet.de

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