Kaleidoskop der modernen Klassiker
„Classy Classics“ mit Gauthier Dance im Stuttgarter Theaterhaus
Fast zu viel des Guten: die Baden-Württemberg-Gala der Heidelberger Tanzbiennale
Eine Gala ist in der Regel eine Appetithäppchen-Verkostung fürs Publikum. Die große Baden-Württemberg-Gala bei der Heidelberger Tanzbiennale lieferte indessen weit mehr: ganze Menü-Ausschnitte oder zumindest Kostproben, und das in einer Menge, die den zeitlichen Rahmen auf viereinhalb Stunden ausdehnte. Aber das Publikum, das dieser Biennale regelmäßig ausverkaufte Häuser beschert hat, ließ sich von der umfassenden Begeisterung anstecken, ging beim Ortswechsel zwischen dem Stadttheater und der Hebelhalle nicht verloren und harrte bis zur anschließenden Party beifallsfreudig aus.
Aus Baden-Württembergs reicher Tanzlandschaft mit sechs Stadttheater-Ensembles und einer facettenreichen freien Szene hatte die Kuratorin Bea Kießlinger für jeden der beiden Spielorte sechs Programmpunkte ausgewählt. Am reichsten vertreten war die Landeshauptstadt Stuttgart, unerwähnt blieb – merkwürdigerweise – die Tanzsparte am Nationaltheater Mannheim. Die Fahnen der Nachbarstadt hielt einmal mehr Eric Trottier hoch, der mit „Ego“ einen witzigen Wettstreit zwischen Tänzer Tobias Weikamp und E-Gitarrist Martin Lejeune präsentierte – aus dem letzterer als souveräner K.O.-Sieger hervorging. Ebenfalls lustig, wenn auch auf ganz andere Art, war das Auftaktstück von Gauthier Dance. Die vom ehemaligen Startänzer des Stuttgarter Balletts, Eric Gauthier, gegründete freie Kompanie hat sich inzwischen fest und höchst erfolgreich am Theaterhaus Stuttgart etabliert. Die zackige Formation „Conrazoncorazon“ für zehn TänzerInnen, choreografiert von Cayetano Soto, brachte Cabaret-Feeling mit. Noch mehr für die Lachmuskeln hielt Eric Gauthier im Solo „Ballett 101“ (Tänzer Rosario Guerra) bereit. Die Behauptung, das klassische Ballett ließe sich in genau 100 Schritte, Posen und Sprünge einteilen, lieferte die Grundlage für eine schwindelerregende Übungsfolge, die böse endet: mit der Position 101, dem buchstäblich in seine Einzelteile zerfallenden Körper am Boden. Auch vom klassischen Vokabular her kommt der Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts Marco Goecke, aber er hat auf dieser Grundlage längst eine eigene, unverwechselbare Tanzsprache kreiert. Sein 2004 entstandenes, legendäres Solo „Mopey“ – präsentiert von Robert Robinson – zeigt schon den unverwechselbaren nackten Rücken, der so viel ausdrücken kann...
Neu in der baden-württembergischen Tanzlandschaft ist der Pforzheimer Ballettdirektor Guido Markowitz. Er präsentierte einen Ausschnitt aus seinem aktuellen Stück „Heroes / The Lovers“ für fünf TänzerInnen. Sein Vorgänger im Amt, James Sutherland, ist in die freie Szene gewechselt (Byaccident Dance Pforzheim) und brachte für die Gala ebenfalls eine Kostprobe mit, nämlich aus seiner Arbeit an „Sacre“; das kraftvolle Duo „Anvol Chorus“. „Der Weg führt“ ist der programmatische Titel eines Duos, das der Ulmer Ballettdirektor Roberto Scarfati präsentierte. Ein Zusammenspiel der besonderen Art hatte die freie Stuttgarter Choreografin Nicki Liszta im Gepäck: ein wie zusammengeschweißt wirkendes Paar „headless“, das ganz buchstäblich zu verschmelzen versucht. Kein gutes Ende nimmt auch das Tanzstück „Atem“ der Ulmer Strado Compagnia Danza. Deren Leiter Domenico Strazzeri ließ den Terror in eine vergnügte Gruppe einbrechen – ein ganz aktuelles Thema.
Der Vergangenheit, ja regelrecht der Tanzgeschichte, hatte sich die freie Stuttgarter Chroeografin Nina Kurzeja angenommen, die mit „Getanzte Melodie“ einen beeindruckenden Ausschnitt einer Tanzperformance auf den Spuren der Stuttgarter Ausdruckstanz-Pionierin Ida Herion zeigte.
Schließlich durften auch die beiden ungleichen Biennale-Gastgeber im Programm nicht fehlen. Die Heidelberger Ballettchefin Nanine Linning präsentierte einen Ausschnitt aus ihrem aktuellen Werk „Silver“, in dem silbern glänzende Mutanten die Irdischen angreifen. Den Schlusspunkt steuerte das UnterwegsTheater bei, einen Einblick in die aktuelle Arbeit „quinteXt“. Choroeografin Jai Gonzales arbeitete hier zum ersten Mal mit Catherin Guerin-Erhalt zusammen, deren live eingesprochener Textfluss vier Tänzer befeuerte.
Bei einer Gala – so ist die Spielregel – konkurriert ein Höhepunkt mit dem nächsten. Feste Kompanien mit einem größeren Repertoire haben da in aller Regel mehr Auswahl; freien, projektbezogen arbeitenden Ensembles bleibt nur die Option, Ausschnitte aus der aktuellen Arbeit zu zeigen – sei diese nun mehr oder weniger häppchentauglich. Trotzdem blieben die Highlights der Gala nicht (nur) den großen festen Ensembles vorbehalten – ein Beleg mehr für die Augenhöhe, auf der sich die Festen und die Freien auf diesem Festival begegneten.
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