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Choreografen-Duo „Club guy & roni“ präsentiert „Poetic Desasters“
Erneut konnten Tanzfreunde im Künstlerhaus Mousonturm eine phänomenale Choreografie erleben, in der Grenzen des bislang Vertrauten gesprengt werden. „Club guy & roni“, beheimatet am Großen Theater in Groningen/Niederlande, präsentierte die Uraufführung von „Poetic Desasters“. Bereits im vergangenen November gastierten sie im Mousonturm und überzeugten mit „The Language of Walls“. Hinter dem Namen „Club guy & roni“ verbirgt sich das Choreografen-Duo Roni Haver und Guy Weizman. Beide sind Israeli mit arabischem Hintergrund, beide begannen ihre Tanzkarriere in der Batsheva Dance Company/Tel Aviv unter dem Choreographen Ohad Naharin. 2001 gründeten sie „Club guy & roni“, um Tänzer und andere Künstler zusammen zu bringen mit dem Ziel einen „Schmelztiegel der Ideen zu kreieren“.
Das Besondere an der Weltpremiere des vergangenen Wochenendes ist zudem, dass der Frankfurter Heiner Goebbels eine Komposition für dieses Stück geschaffen hat. Roni Haver und Guy Weizman hatten bereits in der Vergangenheit zu seinen Kompositionen Choreografien entwickelt („Befreiungsdreck“, „Red Run“), was Goebbels jedoch erst im vergangenen Jahr in Groningen im Rahmen eines Festivals zeitgenössischer Musik erfuhr. Von einer tänzerischen Version war Goebbels so stark beeindruckt, dass Arbeitsgespräche folgten und er die elektroakustische Komposition „Landschaft ohne...“ eigens für „Poetic Disaster“ schuf; dazu kommen Adaptionen von seinen orchestralen Stücken für Violine und Klavier und ein Sampler aus „Surrogate Cities“.
Die live auf der Bühne gespielte Musik, an der E-Geige Monica Germino, an Keyboard und Drum-Samples Tomoko Mukaiyama, wird in szenischen Bildern von spanisch- und englischsprachigen Liedern ergänzt, die teils aus dem Off erklangen, teils live vorgetragen (Jorge Morro) wurden. Die Aufzählung allein vermittelt schon einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit dieses Stücks, das erklärtermaßen von der Chaostheorie inspiriert ist. Das impliziert Auseinanderbrechen von Altem, Abstoßung von nicht zusammen Passendem, Annäherung und Entstehung von Neuem. Es garantiert auf jeden Fall eine ungeheure Dynamik, die von Tanz und Musik, Bühnenbild und Lichtregie gleichermaßen getragen wird. Die Atmosphäre einer Bar wird auch in den dezent glitzernden Kostümen der Darsteller evoziert, die Welt der Reichen mit Pelzmantel und Plateau-Pumps angedeutet.
Igor Podsiadly mimt den englischsprachigen Moderator, der die Zuschauer mit viel Charme und Witz begrüßt, der mit aller Ernsthaftigkeit und hohem Körpereinsatz die absurdesten Geschichten erzählt. Eine Art Subtext, den die Bühnenaktionen überlagern. Im Laufe des Stücks integriert er sich in den Tanz, um dann wieder atemlos ans Mikrofon zu springen oder das Publikum in der Kostümwechselpause aus dem Off zu unterhalten. Im ersten Teil mimt Dunja Jocic eine Chanson-Diva, deren Verlorenheit und Einsamkeit in der Welt der Bars sie überzeugend darstellt. Die ersten Schritte in den Tanz sind vorsichtig tastend, um dann in fulminante Bewegungen überzuleiten, die Angst und Neurosen ausdrücken. Posen des klassischen Balletts sind verquickt mit zeitgenössischem Tanz, überdurchschnittliche Biegsamkeit und Präzision ermöglichen den Wechsel von fließender Bewegung zum Stillstand im Bruchteil einer Sekunde. So entsteht der Eindruck des Eckigen und Kantigen, das Innere eines Menschen scheint in klirrende Scherben auseinander zu brechen. Verstärkt wird das Ganze durch den bedrohlichen wirkenden Sound aus dem Off, dessen Brummen und Kreischen für die Zuschauer mittels der Lautstärke körperlich spürbar wird.
Dann folgt die Live-Musik: keine lieblichen Melodieverläufe oder mitreißenden Rhythmen, sondern Reibung zwischen dem lebendigen Spiel auf der Violine und den strengen Vorgaben eines Samplers, der so manches Mal mit seinem schnellen, maschinellen Puls alles vor sich her zu treiben scheint. Die Tänzer wirbeln herum, allein, zu zweit, dritt, viert oder am Ende mit allen Sechsen (Haver, Jovic, Eva Puschendorf, Yvonne Weschke, Morro, Podsiadly). Ihre Aktionen erscheinen eher von außen gelenkt denn selbst bestimmt, Versuche der (Liebes-)Paar-Bildung sind vom Scheitern geprägt. Merkwürdiges Verhalten legen alle an den Tag, jeder pflegt seine eigene Neurose. Die tragik-komischen Momente sind eher still und Zuwendung erfährt vor allem ein Bühnendekoelement: der Keramikhund.
Das immer wiederkehrende Thema in der Arbeit von Guy & Roni sei die persönliche Freiheit, so ist nachzulesen. Der Kampf darum tobt heftig und ist von Rückschlägen geprägt, wie man diesen pausenlosen und atemberaubenden 80 Minuten entnehmen kann. Deutsche Tanzfans müssen nach Holland pilgern, wenn sie dieses Stück in nächster Zeit sehen wollen, auch in Madrid haben sie eine Chance, Deutschland fehlt (noch?) auf der Liste weiterer Tour-Stationen.
Infos auf www.clubguyandroni.nl
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