Tanz auf dem Müllhaufen, in Schönheit sterben

Wim Vandekeybus' „Menske“ bei ImPulsTanz

Wien, 23/07/2008

Wim Vandekeybus ist ein Tanzberserker. Österreich-Premiere seines jüngsten Stücks „Menske“ (Flämischer Dialekt: Verkleinerungsform für Mensch) war bei ImPulsTanz in der Halle E im Wiener MuseumsQuartier. In knapp zwei Stunden bricht eine gewaltige Flut an Bildern auf die Zuschauer herein: Spannung pur von der ersten bis zur letzten Minute. Menschen finden sich von einer Sekunde zur anderen in einem Niemandsland und vereinsamen. Leben wird nur aus der Erinnerung erträglich, doch Auslöscher sind in diesem nach unten führenden Totentanz stets zur Stelle. Sie zerstören ihre Umgebung und nehmen keine Rücksicht auf ihre Mitmenschen.

Der Raum, wie die Choreografie und Regie von Vandekeybus, verändert sich in dieser Symbiose von Tanz, Theater, Text und Musik ständig. Die triste Landschaft steckt voller Müllsäcke, die schon mal Richtung Zuschauerraum fliegen. Unser Müll eben, der den Menschen auf der Bühne im Weg ist.

Während die Musik von Daan die deftige Bewegungssprache illustriert, bilden die poetischen Texte den einzigen Ort, an dem es Hoffnung gibt. Vandekeybus' Handschrift ist eine Gratwanderung an der Grenze zur Darstellung von Brutalität. Aktuelle Ereignisse jedoch scheinen gefährlich nah. Von den Morden an Jugendlichen in London, missbrauchten Frauen und Menschen, die zu sich selbst auslöschenden Waffen werden, ist es nicht weit nach Guantanamo. Schön ist dieses Stück nicht. Aber ein Schlüsselwerk unserer Zeit.

Ein Mythos steht hingegen im Mittelpunkt von Marie Chouinards einaktigem Ballett „Orpheus and Eurydice“ im Theater an der Wien. Ein aktueller Blick auf die klassische Antike mit vielen Bezügen zur Bildenden Kunst. Goldene Fabelwesen treffen auf animalische Gestalten mit Fellmützen und Fellschuhen. Lüsterne Satyrn streifen über die Bühne, Männer in Stöckelschuhen anstelle von Kothurnen verführen die Frauen mit riesigen Phalli. Liz Vandals fantasievolle Kostüme um viel nackte Haut und Masken von Jacques Lee Pelletier versetzen die elf Tänzerinnen und Tänzer in eine gekünstelte Welt voll Magie, Dramatik und Sinnlichkeit.

Chouinard arbeitet wie die Musik von Louis Dufort mit Leitmotiven. Die Suche nach der Macht der Stimme, Brüllen und lautloses Schreien gehören genau so dazu wie der ruinöse Blick zurück, der eine Tänzerin in den Zuschauerraum lockt. Ein Darsteller deklamiert die Geschichte von Orpheus und Eurydike. Befremdlich, dass sie nicht mit tänzerischen Mitteln dargestellt wird. Der Tanz tritt hinter der Fülle an Effekten in den Hintergrund.

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

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