Simone Sandroni bleibt in Bielefeld
Choreograf Simone Sandroni verlängert seinen Vertrag bis 2022
Die Chemie stimmt. Raum, Tanzensemble und Regieteam arbeiten perfekt Hand in Hand bei André Gingras' eigens für Bielefeld kreiertem Tanzstück „oxygen 8“. Sauerstoff, das achte chemische Element im Periodensystem, Lebenssaft und Triebkraft für Körper und Seele heizt die reichlich einstündige Choreografie des international heiß gehandelten gebürtigen Kanadiers und Wahl-Niederländers an. Bis zur Ekstase steigern sich Lebensüberdruss und Liebesgier, bis zur Hyperventilation Atemautomatismus und Atemlosigkeit. Witz und Wut, Harmonie und Kampf wechseln in originellen Breakdance-Sequenzen und leisen Duetten. Alles rennt, robbt, rudert und radelt, manche lächeln oder lachen hysterisch, andere schreien tonlos, flüstern, betteln und hinterfragen mit kindlicher Neugier.
Laut wummernd wie ein hundertfach verstärkter Herzschlag, dann wieder als ätherisches Crescendo beschallt die Komposition des Belgiers Jürgen De Blonde das riesige, schwarze Quadrat des „Theaterlabor im Tor 6“ – einer ausgemusterten Fabrikhalle zwischen Stadttheater und Türken-Wohnsiedlung. Mit fünf von Wachstuchplanen umhüllten Säulen unterteilt Gingras-Bühnenbildner Pink Steenvoorden die Fläche. Durch sein raffiniertes Lichtdesign wirken sie zuweilen edel, Marmor verbrämt und zaubern das Flair einer Renaissance- Kathedrale.
Man muss nicht die ganze Bandbreite der Interpretation heutiger gesellschaftlicher Auswüchse und Usancen, die die Dramaturgie dieser Tanz-Collage unterstellt, nachvollziehen können oder die hier möglicherweise intendierte Symbolkraft der Zahl „acht“ aufspüren (am schlüssigsten scheint mir die liegende Ziffer als Verdoppelung, also Symbol für zwei Menschen als perfektes Lebensgespann). Mir jedenfalls reichte es, aus dem wilden Wust von Paarungen, lyrischen und exaltierten Soli, Zahlenspielereien und Kletterpartien hinauf in die Säulen eine handvoll schöner Momentaufnahmen mit nach Hause zu nehmen: aus den albern-erotischen Neckereien zweier wilder Mädchen (Brigitte Uray und Anna Eriksson) etwa werden – als zwei Jungen (Gianni Cuccaro und Simon Wiersma) sich schüchtern nähern – zwei Pärchen, die sich in wilden Liebesspielen zum Knäuel verknoten, bis schließlich zwei andere Paarungen entstehen. Anrührend wie die Sterbeszene in „Romeo und Julia“ wenig später die namenlose, ungläubige Trauer eines Schwulen (Dirk Kazmierczak) angesichts der Selbsttötung seines Freundes (Tiago Manquinho). In absoluter Harmonie tanzen Wilson Mosquera Suarez und Elvira Zuniga in stiller Zwiesprache nebeneinander und schließlich stellt Simon Wiersma als kind-gebliebener Mann einem in einer Säule kauernden – vermeintlichen - Schutzengel (Anna Eriksson) tausend Fragen. Sicher wäre „oxygen 8“ ein ganz anderes Stück geworden, hätte Gingras den Tänzern nicht die großzügige Freiheit für kleine Selbstdarstellungen eingeräumt, die Bielefelds Tanzchef Gregor Zöllig ihnen seit eh und je zugesteht. Aber diese Art gemeinschaftlicher Kreation ist ja längst Brauch von Wuppertal bis Berlin und dazwischen.
Nächste Vorstellungen: 25.+26.4. und zehnmal bis Ende Juni.
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