Ballett-Einblicke von heute zu Degas-Bildern von gestern

Eine kleine Nachhilfestunde zu Malerei und Ballett in der Hamburger Kunsthalle

Hamburg, 17/04/2009

Es scheint der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zu sein: Als sich Hamburgs smarter Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner und Ballett-Intendant John Neumeier vor einiger Zeit zufällig auf einem Senats-Empfang begegneten, unterhielten sie sich lieber über Kunst und Malerei als über Politik. Und offenbar verstanden sie sich so gut, dass inzwischen eine stabile Achse gewachsen ist zwischen dem Ungers-Würfel am Hauptbahnhof und dem Schinkel-Bau des Ballettzentrums im Stadtteil Hamm. Deutliches Anzeichen hierfür: ein Gesprächsabend zu „Ballettinspirationen aus dem 19. Jahrhundert“ anlässlich der Ausstellung „Degas – Intimität und Pose“ (siehe tanznetz.de vom 3.3.09) in den Räumen der Kunsthalle.

Für seine Erläuterungen zu Degas’ Kunst hatte John Neumeier die grazile Hélène Bouchet mitgebracht, die im Vergleich mit den Tänzerinnen-Statuen Degas’ (die als Foto an die Wand projiziert wurden) anschaulich verdeutlichte, dass zwischen den Ballerinen des 19. und des 21. Jahrhunderts erhebliche Unterschiede bestehen: so legte die klassische Tänzerin damals weniger Wert auf durchgestreckte, hohe Beine, und sie durfte auch durchaus einige Pfunde mehr auf den Hüften haben als heute. Die Spitzenschuhe, so erläuterte Neumeier – stets am Beispiel von Degas’ Malerei – waren damals so weich und weit ausgeschnitten, dass es damit unmöglich gewesen sein muss, mehrere Pirouetten zu drehen, die Füße hätten darin einfach nicht genügend Halt gefunden, obwohl die Tänzerinnen den feinen Satin der Schuhe übernäht hatten, um sie stabiler zu machen. Ein typisches Beispiel für die Degas-Ballerina ist „La Sylphide“, weshalb Hélène Bouchet ein kleines Solo daraus zeigte – auf der provisorisch eingerichteten Mini-Bühne vor dem Kupferstichkabinett der Kunsthalle so bewundernswert perfekt, dass John Neumeier sie flugs zur „besten Sylphide, die die Welt derzeit zu bieten hat“ kürte.

Die Sylphide und ihr Kostüm zeigen weitere Charakteristika der damaligen Zeit: das wadenlange, duftige Kleid lässt die Füße frei, verdeckt aber die Beine weitgehend – eine Reminiszenz an die seinerzeit betont komplizierte Fußarbeit mit kleinen, schnellen Schritten und Sprüngen. Der normalerweise verpönte Perlenschmuck war, wie Neumeier erläuterte, dem Schwanenhals und den langgliedrigen Armen von Marie Taglioni geschuldet, die damit optisch verkürzt werden sollten. Als zweites Schmankerl hatte John Neumeier den Stangen-Pas-de-Deux aus seinem „Nussknacker“ im Gepäck, sinnbildlich für ein Zitat aus der Welt von Degas, den Hélène Bouchet mit dem kraftvollen Otto Bubeníček als Drosselmeier überaus kunstvoll zelebrierte. Hubertus Gaßner sprach anschließend noch darüber, worum es Degas in seiner Malerei ging. Er habe die Tänzerinnen weniger beim Tanz selbst, sondern vor allem davor oder danach hinter der Bühne sowie bei den Proben gemalt. Anfangs noch auf der Grundlage von Fotografien, erst später erhielt er direkten Zugang zu den für Außenstehende normalerweise verschlossenen Studios und Ballettsälen. Seine Sujets, so Gaßner, seien eher traditionell gewesen, die Form seiner Darstellung jedoch hochmodern, weshalb er ihn auch gern als „konservativen Revolutionär“ bezeichne.

Die Achse Kunsthalle – Ballett wird schon in Kürze weitere Früchte tragen: in Form der Ausstellung „Nijinskys Auge“, die ab 19. Mai den Tänzer und Choreografen als Maler zeigen wird und für die John Neumeier 84 Werke aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt hat.

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