Bunga bunga
„Platzregen / Eine Entfernung zu Peter Handke“ uraufgeführt im Theaterhaus Stuttgart
„Hello, this is modern exercise for housewives! You can do it in the kitchen, in the bathroom, in the garderobe...” In gebrochenem Englisch schäkert Kenta Shibasaki mit dem Publikum. In Plateau-Stiefeln und schwarzen Strümpfen, Pelzjäckchen und hautengen Goldshorts wirft sich der japanische Tänzer lustvoll in Pin-up-Posen. Hinter ihm wartet am Mikro Eline Tan auf ihren Einsatz. Im kleinen Schwarzen und mit übergroßen, roten Glitzerpailletten-Plateau-Pumps ist sie gewappnet für den Konkurrenzkampf auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Doch trotz extravaganter Aufmachung und sexy Posing stiehlt der hyperaktive Moderator diesem Micky-Mouse-Starlet mit Doppeldutt-Frisur die Schau. Wir sind nicht in einer TV-Castingshow, sondern in Fabian Chyles neuem Tanz- und Musiktheaterstück „Ich nicht Ich“, eine Produktion mit mehreren Referenzebenen.
Ausgangspunkt ist Peter Handkes Sprechstück „Selbstbezichtigung“. Durchrhythmisierte Sprache, ein Schauspiel ohne Handlung, ohne Bilder, der Mensch, ein namenloses Ich. Blind wütend zwischen Fremdbestimmung und Selbstbehauptung beichtet er dem Zuschauer Verfehlungen: „Ich habe gespielt. Ich habe falsch gespielt. Ich habe nach Regeln gespielt, die nach den bestehenden Regeln gegen die Konvention waren. Ich habe an Orten und zu Zeiten gespielt, da zu spielen asozial und weltvergessen war.“ Chyle (Konzept, Regie, Choreografie) verzichtet auf Originalzitate. Er überträgt die Idee ins Performative, verwendet Bruchstücke des Frühwerks, lässt sie ins Englische, Japanische und Niederländische übersetzen und von Nicht-Muttersprachler sprechen: „I betray, I speak, I travel“, heißen die letzten Worte in Chyles Stück. Weiß wie ein leeres Blatt das Podium mit sechs Luken und Klappen, bietet dieses Bühnenkonstrukt von Adrian Silvestri den Darstellern, Tänzern wie Musikern ein ideales Spielfeld, um einzeln, zu zweit, als Gruppe oder nur partiell auf- und abzutauchen. Im Wortsinn mal aus dem subkulturellen Untergrund heraus zu agieren, mal im Rampenlicht sich auf dem Podium zu exponieren, um, überflüssig wie Müll, verklappt zu werden.
Auch die Musiker, der Cellist (und Dramaturg) Hans-Peter Jahn, der Saxophonist Bernd Konrad und der Pianist Patrick Bebelaar, verharren nicht im Musikergraben links des Podiums sondern wagen sich ins Dunkel unter dem Podium, um sich von festgeschriebenen Mustern zu lösen. Surreal anmutenden Interaktionen überrascht das Trio mit ausgefeilter Improvisation, atmosphärisch dicht zwischen experimenteller Musik, Neuer Musik, Minimal Music, Jazz, sogar eine Bachsche Cello-Suite wird kurz angetäuscht. „Ich bringe nicht den Handke-Text auf die Bühne, sondern schleuse ihn durch körperliche und musikalische Ebenen, innere und äußere Räume“, so der Regisseur, der den Handke-Text als Lebenszyklus aus Vorgängen versteht, die nebeneinander gestellt, ihrer Beweggründe und Bedeutung entledigt, eine „Mechanik des Seins“ abbilden. Bis hin zu vorsprachlichen Äußerungen - Mal als Kampfschrei eines bis zum Kopf Verhüllten, mal als aufgerissener Mund – sichtbare Schreie, die nicht stumm sind, sondern denen der Ton abgewürgt wurde. Mündig, aber sprachlos und nicht stimmberechtigt. Kommt zu Wort, wer sich das Mikrofon erkämpft hat? Eline Tan, alias ein namensloses Starlet, fällt dem überdrehten Japaner nicht ins Wort, will sich aber auch nicht unterbuttern lassen, sichert sich die Aufmerksamkeit, indem sie die „Übung für Hausfrauen“ einfach mitmacht. Derweil initiiert ein auf Ähnlichkeit angelegtes (Geschwister-)Duo, Anna Pehrsson und Marjolein Vogels, ein Hündchenspiel. Die eine klatscht auf ihre nackten Oberschenkel „Come and sit down“. Der Appell wird weitergereicht. Wer will Befehlsgeber, wer Befehlsnehmer sein? Rund um ein Plastikpaket mit Hundefutter entspinnt sich ein aberwitziger Reigen aus hechelnden Vierbeinern und Platznehmenden Zweibeinern, kippt von dadaistischer Fingerübung in absurdes Theater und endet in perfid zynischem Machtspiel. Movement-Zapping, Identity-Hopping, gesellschaftliche Widersprüche und Sinnfragen-Mobbing – trotz Längen im Mittelteil und der Frage, warum in einem Stück, das sich auf Handke bezieht, kein Wort deutsch gesprochen wird, ist Chyle ein Schelmenstück gelungen, reich an medien- und sozialkritischen Anspielungen. Nicht zuletzt dank der Video-Projektion (Leonie Weber) auf eine der Klappen: Der ganz normale Büroalltag. Hier wuchern unterschwellig - zwischen Topfpflanzen und Teetrinken, bei peniblen Sortiervorgängen - Lust und Frust. Motive, um eine unliebsame Kollegin zu vergiften oder um einfach die vollen Regale umzuschmeißen.
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