Bunga bunga

„Platzregen / Eine Entfernung zu Peter Handke“ uraufgeführt im Theaterhaus Stuttgart

Stuttgart, 18/02/2012

Die jüngste Produktion des gut eingespielten Männertrios − Fabian Chyle (Konzeption und Choreografie), Festivalleiter Hans-Peter Jahn (Konzeption und Dramaturgie) und Bühnenbildner Adrian Silvestri (Bühne, Ausstattung und Grafik) – widmet sich, mit Bezug zu Peter Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“, dem Platz als öffentlichen Ort. „Platzregen / Eine Entfernung zu Peter Handke“ titelt die Performance, die beim „Eclat“-Festival Neue Musik im Theaterhaus Stuttgart erstmal gezeigt wurde.
Den Soundtrack zur Uraufführung hat Alvaro Carlevaro geliefert. Der Komponist mit uruguayischen Wurzeln hat aus Handkes Text die Adjektive herausgefiltert und im Vokalstück „14 unbemalte Bilder für 28 Stimmen“ zu einem formalästhetischen Klanggewebe verarbeitet, das als musikalische Klammer der Tanzversion dient. Chyle, Jahn und Silvestri, berüchtigt für ausufernde Ideen-Vielfalt, breiten zum Tonbandzuspiel eine Menge Material aus: Eingetopfte Zierbäumchen, ein Bretterverschlag, Riesenventilatoren, hunderte Säcke Blumenerde, eine Plastikpuppe (verkleidet als Doppelgängerin einer Tänzerin), Megafone, mehrere Jalousien (auf einer das Bild des Tahir-Platzes), eine Schubkarre, eine Messlatte, die Kopie einer dieser antiken Skulpturen-Imitate aus dem Gartencenter, sowie Flaggen und Fähnchen unterschiedlichster Länder, Couleurs und Größen.

Als wären es der Gegenstände samt Anspielungen, Ausdeutungen und Symboliken nicht genug, werden noch fünf veritable Fahnenschwenker in den Warenkorb gepackt, die in mittelalterlicher Tracht einmarschieren, einen Kurzauftritt liefern und abtreten. Zudem taucht wiederholt eine stumme Figur in schwarzer Burka auf, die sich (wer hätte es nicht vermutet?!) als Mann entpuppt.

Die sieben Tänzerinnen und Tänzer (Angelina Deck, Jule Flierl, Tereza Lenerova, Claudia Senoner, Anders Kallesoe Jensen, Andre Soares, Karol Tyminski) haben alle Hände voll zu tun. Auf- und überdreht wie Roboter auf Speed wird eine Schubkarre hin- und her gekarrt, am Mast wird masturbiert und die Plastikpuppe wird zum Objekt, an dem sich aggressiver Stau und sexuelles Bedürfnis entladen. Die Plastiksäcke mit Blumenerde werden zu einem großen Feld ausgelegt, darüber wird ein Steg aus Brettern gebaut, auf dem, wie im Film, eine Vergewaltigung gespielt (oder geprobt), abgebrochen und wiederholt wird.

„Ich möchte lieber ahnen statt wissen. Sprache ist ja in aller Regel zerstörerisch. Wenn sie nicht den richtigen Augenblick findet, zerstört sie das Ungesagte.“, so Peter Handke, der mit „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ ein Theaterstück ohne Dialoge geschrieben hat. Hauptakteur des Stücks ist ein Platz, der realen Charakter hat, zugleich aber ein beliebiger Platz irgendwo sein kann. Ein Dutzend stummer Akteure spielen Alltägliches, begegnen einander, helfen sich gegenseitig, behindern sich, schließen sich zu Gruppen zusammen und lösen sie wieder auf. Obwohl sich die Begegnungen intensivieren, hat das Welttheater nicht den Anschein, als würde da ein Volk zusammenwachsen.

Während sich die Handlung bei Handke dramaturgisch entwickelt, tritt das Stück „Platzregen“ auf der Stelle. Im Vorfeld zum Festival-Höhepunkt stilisiert, haben sich die drei Musketiere Chyle, Jahn und Silvestri den „Eclat“ auf die Fahne geschrieben und reiten mit wachsender Begeisterung auf der vermeintlich provokativen Antithese zu Handke herum. Ist das Stück bei ihm einzig Regieanweisung, verzichten Chyle, Jahn und Silvestri explizit auf Regie. Konzentriert sich Handke auf den Platz im Allgemeinen, suggeriert die Wahl der Gegenstände einen speziellen Platz. Versucht sich Handke in Reduktion, veranstaltet die Inszenierung eine Materialschlacht. Schließlich wird statt Schweigen den Protagonisten Geschwätzigkeit verordnet. Körpersprachlich wird selten interagiert, vielmehr hampeln und strampeln, holpern und stolpern, ruckeln und zuckeln sie wie auf- und überdrehte Mechanismen, eine Art fleischgewordenes Reiz- Reaktionsschema mit Aussetzern. Wortsprachlich lautet ein Dialog: „I want to reproduce with you“, kein Problem, denn die männliche Antwort auf den weiblichen Wunsch lautet: „I have a good DNA“.

Im Gestöhn, Geächz und Gekreische schält sich aus Bergen von Bildern und Aktionen die Erkenntnis heraus: Der Mensch ist des Menschen Rammler. Trotz großer darstellerischer Anstrengungen und einiger poetischer Momente – vor allem der zerbrechlichen wie ausdrucksstarken Jule Flierl gedankt – versackt das Stück im spätpubertären Habitus einer auf Protest gebürsteten, übersättigten Männergesellschaft, die sich erinnert: Da war doch noch was? Na klar, bunga, bunga! Der (er)klärende Regen bleibt allerdings aus.

 

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