Man muss die Arbeit lieben
Ein Interview mit Richard Wherlock
Die Dynamik in der Musik und die Dynamik der Bewegung, in den Formen des Tanzes, sind verbindende Elemente dieses fulminanten Abends des Ballett Basel, der auch etliche Tage nach der Premiere das Publikum in Euphorie versetzt. Großer Jubel nach gut zwei Stunden, wenn der erlösend, krachende Akkord den „Bolero“ von Maurice Ravel beendet. Welche Musik bediente besser den Anspruch dieses Abends, welche Musik ist aber auch problematischer in ihrer benutzerfreundlichen Direktheit. Basels Ballettchef Richard Wherlock hat seine Choreografie wartender Bräute beiderlei Geschlechts von 2003 in einer bearbeiteten Version an den Schluss des Abends gesetzt. Die Wirkung ist sicher. Männer und Frauen, bis auf das Solotanzpaar, mit locker in Weiß bandagierten Oberkörpern und weiten, rockähnlichen Unterkleidern, steigern sich aus synchronen Wartehaltungen in den Massenrausch einer sich aufputschenden nahezu gleichartigen Bewegungsorgie, deren Wirkung durch die Spiegelung am schräg gehängten Bühnenhimmel verstärkt wird. Das Paar in Schwarz, die Frau mit freiem Oberkörper, assoziiert von Ferne ein Opferritual und die Dynamik eines anderen Stückes. Starkes Stück, vor allem aber starke Truppe, faszinierender Zusammenklang einer Vielzahl höchst individueller Tänzerinnen und Tänzer.
Diese Voraussetzung macht es erst möglich, dass ein Stück wie die Uraufführung „…..and one move“ von Rami Be ´ er, dem derzeit künstlerischen Leiter der Kibbutz Contemporary Dance Company entstehen und seine Wirkung haben kann. „Schneller, schriller, lauter“, so das Programmheft, und dem ist nichts hinzuzufügen. Ein knalliges Crossover der Musik, schrill mit Pop und Punk, Laibach röhrt und „I could have danced all nigth“ in der Version von The Tiger Lillies geben den Sound für diese lustvolle Revue der puren Freude an den Möglichkeiten des Tanzes. Da steht die solistische Clownsnummer neben rasanten Variationen der Gruppe, Verkleidung, Verfremdung, Rollen- und Geschlechtertausch bringen schillernde Ahnungen grenzüberschreitender Rauscherfahrungen des Tanzes. Rami Be ´ er vermag es rituelle Traditionen mit Erscheinungsformen gegenwärtiger Kultur der Unterhaltung mit einem bewegenden Lächeln zu verbinden.
Dass vieles von dem, was in beiden Choreografien folgte, sich nicht ausschließen muss, dennoch von hohem Schauwert sein kann, zudem sich aber einer angemessenen Strenge verpflichtet weiß, das machte der Auftakt des Abends mit Johan Ingers 2002 für das Nederlands Dans Theater geschaffener Choreografie „Empty House“ deutlich. Die innere und äußere Dynamik dieser Variationen aus einsamem Kreisen, aus Nähe und Distanz, aus Emotion und Kontemplation, in Verbindung mit der Musik von Félix Lajkó, auf Mylla Eks Bühne, von sichtbaren und unsichtbaren Trennwänden durchzogen, gewinnt durch die authentische Präsenz der Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Basel neue Dimensionen der Unentrinnbarkeit. Ob in den knappen, wilden solistischen Ausbrüchen, in den Spiegelungen, in den weiten Kreisen einsamer Läufer und Läuferinnen, in den Versuchen von Zweisamkeit, Halten und Lassen, und über allem diese fast schmerzhafte Empfindung verletzlicher Melancholie.
Ein dynamischer Start in die Baseler Ballettsaison, für die u.a., am 15. Januar 2010, als Uraufführung eine Carmen-Choreografie von Richard Wherlock angekündigt ist.
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