Eine ungleichzeitige Liebe

Richard Wherlock und das Basler Ballett zeigen einen zupackenden „Eugen Onegin“

Der Basler Ballettchef Richard Wherlock hat sein neues Werk „Eugen Onegin“ nach dem Roman von Alexander Puschkin in zwei Akte aufgeteilt. Etwas vergröbernd könnte man sagen: Der erste Akt zeigt die schwächeren Seiten des Choreografen, der zweite Akt die stärkeren.

Basel, 15/01/2013

Der Basler Ballettchef Richard Wherlock hat sein neues Werk „Eugen Onegin“ nach dem Roman von Alexander Puschkin in zwei Akte aufgeteilt. Etwas vergröbernd könnte man sagen: Der erste Akt zeigt die schwächeren Seiten des Choreografen, der zweite Akt die stärkeren. Stark ist Wherlock in den Gruppenszenen. Sie zeichnen sich durch Witz und Vitalität aus. Und geben dem ganzen Ensemble die Chance, sich ins Bühnengeschehen hineinzustürzen, Tempo zu entwickeln, zuzupacken. Schwächer erweist sich der Choreograf bei der Zeichnung der Hauptfiguren, ihrer Charaktere und Beziehungen untereinander. Hier mangelt es ihm an Ruhe und Finesse.

Der Versroman „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin wurde in Fortsetzungen 1825-33 veröffentlicht. Onegin, ein Müßiggänger und Dandy aus St.Petersburg, erbt von einem reichen Onkel ein Landgut. Dort begegnet er zwei Schwestern: Der introvertierten Tatjana, einer Leseratte, und der munteren Olga, die mit dem jungen Dichter Lenski verlobt ist. Tatjana verliebt sich in Onegin, der sie aber missachtet. Statt dessen flirtet er mit Olga, wird vom eifersüchtigen Lenski zum Duell gefordert und tötet diesen. Nach zehn Jahren des Herumreisens kehrt Onegin nach Moskau zurück. Bei einem Ball trifft er Tatjana wieder, die inzwischen einen Fürsten geheiratet hat. Die Rollen kehren sich um: Onegin entbrennt in Liebe zu Tatjana, doch sie weist ihn zurück. Einst hat sie ihm einen Liebesbrief geschrieben, den er verschmähte. Jetzt geschieht das Umgekehrte. „Eugen Onegin“ – das ist eine melancholische Geschichte über die Ungleichzeitigkeit der Liebe.

Peter Tschaikowsky brachte 1891 in Moskau die Oper „Eugen Onegin“ zur Uraufführung. 1967 schaffte der Stoff die Transformation zu einem der wichtigsten klassischen Handlungsballette aus dem 20. Jahrhundert. John Crankos Stuttgarter Ballett glänzte bei der Uraufführung mit der Traumbesetzung Marcia Haydée/ Heinz Clauss in den Hauptrollen. Seither wurde Crankos „Onegin“ von vielen berühmten Ballettensembles frisch einstudiert. Aber kaum jemand wagte eine eigene Version des Stoffs. Erst 2009 kreierte Boris Eifmann eine neue Fassung. Und jetzt hat also Richard Wherlock den Stoff aufgegriffen.

Wie schon John Cranko wählte auch Richard Wherlock nicht Musik aus der Oper „Eugen Onegin“ für sein Ballett aus; beide arbeiten mit Auszügen aus anderen Werken Tschaikowskys. Dirigent David Garforth und das Sinfonieorchester Basel schwelgen unter anderem in Passagen aus den Sinfonien 3 und 4, verschiedenen Suiten, Stellen aus dem Violinkonzert und dem ganzen Capriccio Italien. Zuweilen wirkt die Auswahl auch befremdlich, etwa dann, wenn zum Duell Onegin-Lenski die Ouvertüre „1812“ erklingt, die den Sieg der Russen über Napoleon feiert.

Jorge García Pérez als Eugen Onegin ist ein guter Tänzer, doch gibt ihm die Choreografie zu wenig Gelegenheit, einen unverwechselbaren Charakter zu zeichnen. Mit seinen rotgeschminkten Lippen und dem häufigen Blick in den Spiegel fühlt man sich eher an Dorian Gray als an eine Puschkin-Figur erinnert. Auch Ana Lopez als Tatjana tanzt ihren Part sorgfältig-eindringlich; das für sie entwickelte Bewegungsmaterial hat aber wenig Individuelles. Wherlock wählt meist Modern Dance als Tanzgrundlage; er beschränkt das Klassische weitgehend auf die beiden Ballszenen in St. Petersburg und Moskau und verzichtet auf Spitze. Stark ist er in einigen – wiederum eher englisch als russisch wirkenden - komischen Szenen. Etwa dort, wo die Diener des ererbten Landgutes die Möbel herum schieben, auf dicken Sohlen tanzend, oder zu zweit in der Badewanne kauern.

Debora Maiques Marín tanzt die Olga, Javier Rodríguez Cobos den Lenski, Marius Razvan Dumitru den Fürsten und späteren Gatten von Tatjana. Für Diego Benito Gutierrez hat der Choreograf eine dankbare Rolle als Onegins Kammerdiener erfunden. Im 2. Akt kommen dann alle, die da tanzen können, zum Zug: Als bunter Reigen verführerischer Frauen auf Onegins Reise, als Tatjana-Doppelgängerinnen in einem Traum Onegins, als Ballgesellschaft im Palais des Fürsten.

Bleibt die Ausstattung: Attraktive Kostüme von Catherine Voeffrey und eine großzügig gehandhabte Bühne von Bruce French. Wechselnde Videos von Tabea Rothfuchs auf der Rückwand, die teils direkt mit der Handlung interagieren (z.B. bei den Briefschreibeszenen), und einander ablösende, meist hängende Kulissen erlauben rasche Abläufe und Stimmungswechsel.

Uraufführung: 12.1.2012, Theater Basel

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