Ein Fest in der Fabrik

Die Dresdner Musikfestspiele präsentieren Juilliard Dance in der Gläsernen Manufaktur

Dresden, 08/06/2009

Das Ambiente stimmt. Die Bedingungen sind nur bedingt günstig. Die Klimaanlage brummt und die Sichtverhältnisse sind im ebenerdigen Parkett kaum zumutbar, am Rand, selbst im Mittelgang, klickern Fotografen mehr oder weniger sensibel. Um wirklich etwas zu haben von den rasanten Darbietungen der exzellenten Nachwuchstänzerinnen und Tänzer der Juilliard School aus New York, halte ich Ausblick nach freien Plätzen auf den erhöhten Podien, fliehe dahin bei der ersten Möglichkeit. Von der ersten Choreografie des Abends kann ich demzufolge nichts berichten – wie „Gloria“ von Mark Morris zur Musik von Antonio Vivaldi getanzt wurde, sah ich nicht, mit etwas Glück kurz mal einen Kopf der zehn Tänzerinnen und Tänzer. Aber jetzt kein kritisches Wort mehr. Denn was ich dann sehe, ist einfach toll. Von solchen Programmen, von solchem Charme der Darbietung, kann es in Dresden, insbesondere im Rahmen würdiger Festspiele, gar nicht genug geben. Großes Staunen, helle Freude und der Wunsch auf baldiges Wiedersehen bei der Begegnung mit den jungen Tänzerinnen und Tänzern der New Yorker Juilliard School. Juilliard Dance, das ist Tanzlust pur.

Nach „Gloria“ folgt „The Fugue“ von keiner geringeren als Twyla Tharp, von Bach inspiriert, aber ohne Musik. Dem klangrhythmischen Gespür der drei exzellenten Tänzer Craig Black, Jonathan Campbell und Denys Drozdyuk vertrauend, baut sich diese hochmusikalische Bewegungsarchitektur in beständigem Geben und Nehmen auf. Fallen, Drehen, Springen, Elemente des Stepptanzes, flinke Wechsel der Temperamente, Neoklassik und wunderbare Show. Twyla Tharp hat mit Baryschnikow gearbeitet und auf ihr choreografisches Konto gehen Welterfolge wie die Filme „Hair“, „Ragtime“ und „Amadeus“. Gerade hat sie in Mainz zum Abschied von Martin Schläpfer ihr Deutschlanddebüt gegeben. Zudem wird in dieser Arbeit, in der Wiedergabe durch die genannten Tänzer, besonders deutlich, was diese Kompanie auszeichnet. Es ist das Gespür füreinander, absolute Wachheit in den Reaktionen, in der Art wie Stimmungen, Temperaturen, Tempi oder Assoziationen von einem Tänzer zum nächsten wechseln, individuelle Veränderung erfahren, um immer wieder völlig typengenau in der Authentizität einer ausgeführten Bewegungsfigur, oder nur in einer knappen Geste zu enden. Ergebnisse solcher Art lassen auf eine eminent gute Ausbildung schließen, in der auf jeden Fall weit mehr als Techniken vermittelt wird.

Als dritter Beitrag „North Star“ von Lar Lubovitch mit Musik von Philip Glass. Die Tänzerinnen und Tänzer in zwei Quartetten: einmal mit Aaron Carr, Leon Kupferschmidt, Nathan Madden und Rachelle Rafailedes, dann mit Aaron Loux, Anila Mazhari, Marla Phelan und Allison Ulrich, sowie in kurzen Soli Yara Travieso und Kyle Robinson. Zu den spielerisch-schwingenden Klängen der minimalen Veränderungen in der Musik herrschen wie im Spiel der Wellen bewegte Reigenfolgen der Gruppen vor, heiter ironisch gebrochen, außerdem frappierende Hebebewegungen oder Schleuderfiguren, die den Möglichkeiten der Vertreter beider Geschlechter in den beiden Quartetten angemessen sind. Das Solo von Yara Travieso ist von elektrisierender, zuckender Art und verblüfft, wenn die blitzenden, gezackten Bewegungen übergehen in elegante Verzögerungen. Kyle Robinsons Solo betont Figuren in fließendem Ebenmaß und führt somit in das Finale aus Reigenkombinationen der elegant miteinander verschmelzenden Gruppe.

Zum Abschluss folgt Ohad Naharins Choreografie „From Max and Three“ mit allen 25 Mitgliedern der Truppe. Ganz aktuell hat Naharin seine Choreografien „Max“ von 2005 und „Three“ von 2007 verbunden und einen grandiosen Reißer geschaffen, bei dem die Mitglieder von Juilliard Dance zeigen können, was in ihnen steckt. Was ist Etüde, was ist Vorgabe, was ist Improvisation, was ist gezählt, was ist gereimt? Sprünge und Drehungen, Break-Dance und Elemente des HipHop, ausdrucksvolle Posen, mitunter eine Variante der klassischen Arabesque, das Auge muss manchmal einfach kapitulieren. Die Energie der Bewegung, die bei Naharin, Chef der Batsheva Dance Company Aus Tel Aviv, wie „explosive Energie aus dem Körper schießen“ soll, in rasanter Abfolge immer neuer Passagen von unterschiedlicher Länge, immer der Individualität der jeweils Tanzenden entsprechend, rollt wie eine erfrischende Woge vom Podium direkt zu den Zusehenden. Und noch einmal kommen die Techniken und Traditionen zusammen, da fliegen Tänzer in klassisch anmutenden Sprungvarianten in die Höhe, um in hartem Schnitt abgelöst zu werden von einer schroffen Geste aktueller Ausdruckstechnik. Minimalistische Tänze der Finger, die besondere Betonung der Hüftenpartien, in der Vervielfachung gesteigert, führen zu verblüffenden Gruppenbildern und Konstellationen. Und das Wunder dieser Arbeit ist, dass bei aller massiven Dynamik der Gruppe die Individualität der Einzelnen nicht verloren geht. „You‘re welcome“ heißt es am Ende der Superperformance. Die Antwort ist eindeutig. Stehende Ovationen und einhelliger Jubel.

Am Abend zuvor, an gleicher Stelle, als Juilliard Dance zum Abschluss eines Konzertes mit Jan Vogler und der Camerata Bern schon mal Ausschnitte aus dem Programm vorstellte, gab es ein besonderes Geschenk. Der weltberühmte Cellist Jan Vogler nimmt sein edles Instrument von 1721, setzt sich zu den Tänzerinnen und Tänzern aufs Podium, spielt Bach, wozu diese in bezaubernder Gelöstheit improvisieren. Das große Vergnügen der Korrespondenzen, die Verblüffung der ungeahnt weiten Skala an Möglichkeiten der Körpersprache und vor allem die Achtsamkeit in so zärtlicher Symbiose, wie sie wohl nur der Musik und dem Tanz möglich ist, vor allem in so realer wie herzlicher Freiheit, feiern an diesen Abenden ein rauschendes Fest.

www.juilliard.edu

www.musikfestspiele.com

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