Martin Schläpfer verlässt Wiener Staatsballett
Direktor und Chefchoreograf des Wiener Staatsballetts verlängert seinen Vertrag nicht
Manchmal ist es ja vielleicht ganz gut, einen neuen Ballettabend mit einiger Verspätung zur Kenntnis zu nehmen. So geschehen beim Mainzer Programm XXVIII, das im November Premiere hatte (hier, im tanznetz, ausführlich kommentiert von Jochen Schmidt am 10.11.2008 ) und an diesem Abend seine 19. Vorstellung erlebte. Zweiundzwanzig geplante Vorstellungen mit drei Uraufführungen – und das im „provinziellen“ Mainz! Und was sagen Paris, London und New York dazu? Sie waren bei der Premiere überwiegend positiv aufgenommen worden. Inzwischen hat der Abend an überlokalem Renommee eher noch gewonnen.
Die Vorstellung findet im Kleinen Haus statt – und das heißt; mit Musik vom Tonband. Das bleibt bedauerlich, zumal da es sich um musikalisch ausgesprochen klein besetzte Stücke handelt – Kammermusik also (das hätte Pereira in seinem Zürcher Haus niemals zugelassen). Andererseits hatte sich Schläpfer für die musikalisch höchstwertigen Einspielungen überhaupt entschieden (die „24 Préludes“ von Chopin von Grigory Sokolov – und ich muss zugeben: einen so subtil ausdifferenzierten Chopin wie von ihm habe ich überhaupt noch nie gehört: nicht einmal von Rubinstein – unvorstellbar von einem Hauspianisten). Die Zustimmung des vollen Hauses: enthusiastisch – bei einer Vorstellungsgesamtdauer von 160 Minuten – erschöpfend in jeder Beziehung! Und das in Mainz!
Leise Bedenken, ob der Schläpfer-Nachfolger in der nächsten Spielzeit dieses Niveau wird halten können – und dieses Publikum! Das so ganz anders ist als in Berlin, Hamburg. Stuttgart und München – aber auch anders als bei Pina Bausch in Wuppertal oder Forsythe in Frankfurt. Sehr gemischt die Jahrgänge – und entsprechend die Kleidung, ausgesprochen leger, aber konzentriert die Aufmerksamkeit, wie unter einem Bann stehend. Und das bewirkt durch Ballett – und nicht etwa durch das modisch schicke Tanztheater! Sogar der Spitzenschuh erhält seine Bedeutung und Würde zurückerstattet! Die zweimal zehn Tänzer starke Kompanie ist an Ernsthaftigkeit und Engagiertheit nicht zu überbieten. Die einzelnen Choreografien makellos ausgeführt – und das bei diesem ungeheuerlichen Schwierigkeitsgrad (besonders in Schläpfers vorangestellten „Pezzi und Tänze“ zu Musik von Giacinto Scelsi (nicht gerade einer meiner Lieblingskomponisten, seit uns in Stuttgart Klaus-Peter Kehr damit traktierte).
Auffällig bei Schläpfers Choreografien die häufige synchrone Bewegungsführung – die mich eher an synchrone Turmspringer bei den Schwimmern erinnerte als an synchrone Phrasierungen beim Ballett-Corps. Von den Mainzern so brillant ausgeführt, dass ich an die beiden Spanierinnen beim Bolschoi-„Don Q“ dachte – oder an die synchronen Gruppen in der Zürcher Aufführung von Forsythes „Artifact“. Äußerst raffiniert die aperçuhaften „24 Préludes“ von Chopin (die mir gleichwohl trotz ihrer überströmenden Einfallsfülle zu lang erschienen. Hier übrigens immer wieder ins Gedächtnis drängend: Neumeiers „Kameliendame“ – kommt mir in den Sinn, dass Neumeier – nicht unbedingt in seinen „Préludes CV“ – und Robbins‘ „Dances at a Gathering“ für mich die meisterlichsten Chopin-Ballette sind).
Charmant die Fokine- und die Petipa-Reminiszenzen (die mich wünschen ließen, Schläpfer möge die für meinen musikalischen Geschmack unsäglichen Fokine-„Les Sylphides“ einmal neu choreografieren). So viel wäre zu den beiden Stücken von Schläpfer zu sagen – insbesondere zu den Kühnheiten der „Pezzi und Tänze“ mit ihren vielen Bodenmotionen – auch über die Gewagtheiten mit den Spitzenschuhen bei Chopin. Meine Probleme habe ich generell bei Schläpfer mit seinen Kostümen, die ich durchweg unvorteilhaft für die Tänzer halte (nicht so bei den Kostümen Nelly van de Veldens für Chopin, die fand ich diesmal sogar farblich ausgesprochen apart). Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich für Nick Hobbs‘ „Mono No Aware“ nicht erwärmen konnte und mich mehrfach erwischte, wie meine Gedanken sich verselbständigt hatten – trotz der suggestiven Magie, die Schostakowitschs Streichquartett verströmt. Ich war nach diesem Ballettabend wie gerädert (wie schon eine Woche zuvor in Essen) – zu nichts mehr in der Lage, nicht mal mehr zur einfachen Zeitungslektüre. Das leidige Alter! Dies nur zur Warnung an diejenigen, die da meinen, es könne mit dem kj im gleichen Tempo so weitergehen wie bisher!
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