Tausend zu zehn

Martin Schläpfer und das ballettmainz im Mainzer Dom

oe
3sat, 05/09/2009

Was sind schon, bei aller Würdigung ihrer Verdienste, zehn Jahre Martin Schläpfer und das ballettmainz gegen tausend Jahre Mainzer Dom? Und so bekenne ich denn, nach der mitternächtlichen 3sat-Fersehsendung „ballettmainz tanzt im Dom“ ein ziemlich flaues Gefühl des Ungenügens gehabt zu haben – woran auch die strahlenden Gesichter und der Beifall der mit Recht auf ihre Kompanie stolzen Mainzer Bürger, inklusive Kardinal Lehmann (fehlte unter den Gästen nur noch Kurt Beck) nichts änderten. Vielleicht waren ja meine Erwartungen zu hoch! Und die sind mit John Neumeiers „Matthäus-Passion“ vor dem Salzburger Dom (das Hauptwerk der protestantischen Kirchenmusik vor der Fassade dieses erzkatholischen Doms) sowie mit diversen Aufführungen von Cavalieris „Rappresentazione di anima e di corpo“ an verschiedenen Stätten verbunden – nicht zu reden von all den Versuchen, geistliche Musik in angemessener architektonischer Umgebung tänzerisch zur Aufführung zu bringen (St. Gallen etc.).

Bei dieser Gelegenheit in Mainz war mir der Ansatz zu gering. Das begann schon mit der Musikwahl: nichts, ganz und gar nichts gegen Ligeti, der ja zahlreiche geistliche Kompositionen, inklusive eines „Requiems“, geschrieben hat. Aber mussten es diese „Ramifications“ für zwölf Solostreicher sein? Und dann die „Pezzi“ von Giacinto Scelsi, die Schubert-„Tänze“ (und das geistliche Lied „Du bist die Ruh, der Friede mild“ mit dem wundersam innigen Schluss „o füll es ganz, o füll es ganz“) und die Killmayer-Sinfonie? Da hätte ich mir eher Schläpfers „Kunst der Fuge“ gewünscht (oder noch besser „Das musikalische Opfer“) – oder, warum nicht, Messiaen, Poulenc oder Hugo Distler? Dann das Nicht-Eingehen auf den architektonischen Rahmen, wie wir es von der Zusammenarbeit von Frédéric Flamand mit Jean Nouvel oder Zaha Hadid, beziehungsweise von Anna Huber und Peter Zumthor kennen? Das war sicher auch ein Versäumnis der TV-Dramaturgie, dass es so wenig von der spezifischen Architektur des Mainzer Doms, der Hin und Her Korrespondenz zwischen Choreografie und Raum ins Bild rückte.

Aber von der konnte ohnehin kaum die Rede sein. Da war einfach eine grüne Plattform im Ostflügel des Doms ausgespart worden, auf der sich die Tänzer präsentierten – nicht anders als sie es im Kölner, im Mailänder oder Berliner Dom getan hätten. Und so wirkte das Ganze denn wie ein im Ballettsaal einstudiertes Programm, mit dem die Mainzer als Heim-Gastspiel im Dom ihrer Stadt auftraten. Bezug zur Geschichte dieses Bauwerks und der Geschichte ihrer Stadt? Fehlanzeige! Und zum generellen religiösen Environment? Kaum vorhanden, denn was besagten schon ein paar Himmelblicke, ein bisschen Händegerangel, das Herausstrecken der Zungen (die Ausgießung des Heiligen Geistes?) oder das Betröpfeln mit Wasser (die Taufe im Jordan?)? Keine Frage, dass die Tänzer des ballettmainz sich mit all ihrem Profi-Vermögen in das Unternehmen stürzten – aber das Sympathischste an dem ganzen Projekt waren noch die gänzlich uneitlen Kommentare Martin Schläpfers bei dieser Zwischenstation auf seiner Lebensreise rheinaufwärts von Mainz nach Düsseldorf.

Kommentare

Noch keine Beiträge