Plädoyer gegen Rassismus im Tanz
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Bilanz der Ballettfestwoche mit Aufführungen von „Corsaire“, „Kameliendame“ und zwei Ballettabenden
Es ist kaum hoch genug zu schätzen, wie Jiří Kyliáns „Zugvögel“ mit ihrem Parcour durch die Katakomben des Nationaltheaters und ihrer filmischen wie choreografischen Beleuchtung eines exemplarischen Tänzerlebens fördern, dass sich das Publikum mit diesem Haus und seinen Künstlern stärker identifiziert. Dem ehrenvollen Geschenk dieser Uraufführung an das von Ivan Liška zu einer breiten Stilvielfalt entwickelte Ensemble, mit dem die bis zum Ende der nächsten Spielzeit reichende Feier des 20-jährigen Jubiläums des Bayerischen Staatsballetts begann, folgten vier Vorstellungen aus dem Repertoire, die alle jüngeren Datums sind.
Zuerst der im Januar 2007 von Ivan Liška neu inszenierte Klassiker „Le Corsaire“ von Marius Petipa, in dem die Company mittlerweile zu Hause ist und ihre stilistische Eleganz mit genüsslicher Lebendigkeit beweist. Aufgewertet durch eine darstellerisch versierte junge Bolschoi-Ballerina, überzeugte die Vorstellung mit zahlreichen Höhepunkten. Stellvertretend für alle das Trio auf der Pirateninsel: Tigran Mikayelyan, phänomenal in Höhe, Form und Eleganz, variierte seine Tricks als Sklave Ali mit erneuten Steigerungen. Ekaterina Krysanova aus Moskau als Medora rettete die eigenwilligen Tempi des Orchesters unter Myron Romanul mit souveräner Technik in eine blitzsaubere Variation, um dann auch mit akzentgenauen Fouettés zu überzeugen. Und Lukáš Slavický als Titelheld trumpfte neben seinen Grand Pirouettes und Sprüngen mit seinem Temperament auf. Krysanova musste man auch mögen, als sie das Spiel des „Kleinen Korsaren“ bei aller Stilisierung absolut natürlich, leicht, witzig, charmant und liebenswert präsentierte! Auf die Terpsichore-Gala VIII, die Wolfgang Oberender um die Welt der Ballets Russes mit dramaturgischen Verdiensten zusammengestellt hatte, ohne in allen Fällen eine Gala-gemäße tänzerische Ausführung garantieren zu können, folgte der Dreiteiler „Schläpfer/van Manen/Sandroni“ vom April 2008. Hat Simone Sandronis “Cambio d´abito” bei wiederholtem Sehen auch seine Längen, hielt die Spannung doch im Prinzip. In „Adagio Hammerklavier“ ersetzte Daria Sukhorukova an der Seite Marlon Dinos die verletzte Lucia Lacarra gut in Haltung und Bezug zum Partner. Beide ertanzten so zusammen mit den ersten beiden Paaren Séverine Ferrolier/Tigran Mikayelyan und Roberta Fernandes/Maxim Chashchegorov für Hans van Manens ruhige Hommage an die Danse d´école eine schöne Sammlung. Auch in Martin Schläpfers „Violakonzert II“ beeindruckte, wie gut die Münchner ausgleichen können, wenn der Kopf einer Besetzung fehlt. Denn neben Zuzana Zahradníkova, Tigran Mikayelyan, Alen Bottaini, Lukáš Slavický und Javier Amo Gonzales, die hervorzuheben sind, waren alle hochkonzentriert, und auch Séverine Ferrolier wirkte, sich in Gubaidulinas Musik tief einfühlend, im Part Lucia Lacarras intensiv.
Nach wenig Funkeln an beiden Vorabenden zeigte Lisa-Maree Cullum in John Neumeiers „Kameliendame“, dass sie es eigentlich kann! Als Marguerite war sie vital, offen, stattlich und gleichzeitig leicht schwebend, tanzte mit Alen Bottaini, dessen Armand allerdings unwiderstehlich war, einen Pas de deux schöner als den anderen. Auch in ihrer dramatisch aufgeladenen Kommunikation mit Armands Vater (Ivan Liška) waren jeder Schritt und jede Geste beinahe deutlicher verständlich als Worte! Da sich Alen Bottaini elegant, eruptiv und facettenreich geradezu in seine Rolle stürzte, geriet die Vorstellung zu einem Manifest der neoklassischen Qualität des Staatsballetts, zumal auch andere in ihren Rollen überzeugten: Die Figuren aus „Manon Lescaut“ mit Daria Sukhorukova und Maxim Chashchegorov an der Spitze, ferner Peter Jolesch als der Herzog, Gregory Mislin als Graf N. und Elena Karpuhina als entzückende Olympia. Neben Lukáš Slavický als brillant tanzendem Gaston Rieux traf Roberta Fernandes keck und vergnüglich das Wesen der Prudence. In „Shéhérazade“ war sie allerdings mit der undankbaren Aufgabe überfordert, Sobeides Präsenz so, wie Lucia Lacarra sie dank ihrer exzeptionellen Linie mit skulpturaler Qualität vorgab, zu erreichen. Das kann man Fernandes kaum zum Vorwurf machen. Und weil das Bayerische Staatsorchester Rimsky-Korsakows „Shéhérazade“ unter Valery Ovsianikov hervorragend musizierte und allen anderen voran Lukáš Slavický als Goldener Sklave imponierte, kam auch das Auftaktstück von „100 Jahre Balletts Russes“ gut an. In „Les Biches“ tanzte das Corps de ballet mit Präzision die Partystimmung der eleganten Gesellschaft und wirkte mit den durch ihre Fußschnelligkeit überzeugenden drei Herren in Badehosen in seiner Blasiertheit amüsant. Séverine Ferrolier tanzte die Dame in Blau intelligent mit witziger Allüre, und Lisa-Maree Cullum überzeugte als Dame des Hauses sowohl tänzerisch als auch durch ihre Darstellung der schwelgerisch souveränen Lebedame. Mit „Once Upon An Ever After“ endete diese Ballettfestwoche zum Auftakt der Jubiläumsfeiern. Das machte zusätzlich Sinn, weil Terence Kohler in seinem kürzlich uraufgeführten Ballett Menschen von heute zeigt und uns mit ihnen durch ein Fenster in die Vergangenheit schauen lässt, aus der er „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Giselle“ zitiert. Mit großem Ensemble und vielen Solisten in Rosalies innovativem Bühnenbild brillant getanzt, erwies sich Kohlers Stück zu Tschaikowskys großartig musizierter 6. Symphonie erneut als sehenswert.
Zu einer guten Company gehört eine gute Schule. In München ist beides seit Konstanze Vernons Gründung des Bayerischen Staatsballetts vor 20 Jahren zu einer festen Burg gewachsen. Da hilft, auch unter Ivan Liška, eine Institution der anderen. Die aktuelle Matinee widmete Konstanze Vernon ihrem im Dezember verstorbenen Ehemann Fred Hofmann, dem Mitgründer und Vorstand der Heinz-Bosl-Stiftung seit 1987, und verordnete ihr doch einen freudigen Grundton. So endete die am 17. Mai nochmals zu sehende Matinee mit einem Beifallssturm für Kaskaden tänzerischen Elan Vitals aus dem modernen Spanien, als Robert North die Vollzeit-Studenten zu Paco di Lucias Gitarrenläufen in „Entre dos aguas“ flott Contemporary mit Flamenco-Elementen kombinieren ließ. Sie begann mit einer 50-minütigen Fassung von Ray Barras „Don Quijote“, in der die Ballettakademie zeigte, welche Fülle tänzerischer Talente sie hervorragend ausbildet, unter denen sich immer wieder jemand findet, der schon früh das ganz Besondere hat – dieses Mal Adji Cissoko als Mercedes! Dazwischen stand mit „Espana“ eine weitere Robert-North-Choreographie für die Mittelstufe, die zeitgenössische Bewegungen auf klassischer Basis mit spezifischen Ballettröckchen in reizvollen Kontrast setzte. München erwies sich auch angesichts des Nachwuchses als echte Ballettstadt!
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