Hoher Erinnerungswert
Karlsruhe würdigt die Ballett-Ära Birgit Keil mit einer bildreichen Publikation
Sie ist, wenn ich es recht sehe, die einzige deutsche Ballerina, die es ins englische „Oxford Dictionary of Dance“ geschafft hat (nicht zu verwechseln mit oe's „The Concise Oxford Dictionary of Ballet“, dem man eventuell ja landsmannschaftliche Vetternwirtschaft vorwerfen könnte): Birgit Keil, die heute ihren fünfundsechzigsten Geburtstag feiert. Das ist nicht einmal Adele Grantzow gelungen (1845-1877), in Braunschweig geboren und eindeutige Favoritin von Saint-Léon, der sie mit nach Moskau und St. Petersburg nahm und diverse Rollen für sie choreografierte, während in Paris die Giselle zu ihren Exklusivrechten gehörte und sie vermutlich die Swanilda in „Coppélia“ kreiert hätte, wenn sie nicht ihre Karriere einer Fußamputation wegen vorzeitig hätte beenden müssen.
Das ist Birgit Keil gottlob erspart geblieben, und so befindet sie sich im zarten Seniorenalter als Ballettchefin in Karlsruhe mitten in ihrer dritten Karriere – nach ihren gloriosen Jahren als Ballerina des Stuttgarter Balletts und anschließend als Direktorin der Mannheimer Ballettakademie, als die sie auch weiterhin fungiert. Und das ist eine weitere Besonderheit ihrer Karriere. Denn Tänzerinnen, die nach ihrer aktiven Laufbahn berühmte Pädagoginnen oder Ballettleiterinnen geworden sind, kennt die Ballettgeschichte zu Hauf. Das scheinen aber durchweg Tänzerinnen gewesen zu sein oder auch heutzutage überwiegend zu sein, die während ihrer aktiven Laufbahn Charaktertänzerinnen waren – jedenfalls keine Ballerinen von klassischem Format.
Ich muss mein Gehirn schon mächtig anstrengen, wenn ich Vergleichsbeispiele zitieren will. Und da fällt mir aus der Geschichte nur Lucile Grahn (1819 bis 1907) ein, Bournonvilles ideale La Sylphide, die sich als Hofballettmeisterin in München von 1869 bis 1875 große Verdienste erworben hat und Wagner bei den Uraufführungen von „Rheingold“ und den „Meistersingern von Nürnberg“ als Choreografin zur Hand ging. Dazu hat es Birgit Keil noch nicht gebracht – aber wo wäre der heutige Richard Wagner, dem sie choreografische Entwicklungshilfe hätte leisten können (vielleicht Wolfgang Rihm bei einer Auftragsoper für Karlsruhe?) Doch eine kleine Einschränkung muss ich hier machen: ich denke an Konstanze Vernon und ihre ähnlich verlaufene dreispurige Karriere in München (sie allerdings hat es noch nicht zur Aufnahme im ODoD gebracht).
Und so bietet dieser Jubiläumsgeburtstag eine willkommene Gelegenheit, nicht ohne Stolz darauf zu verweisen, wo das deutsche Ballett inzwischen angelangt ist. Dass es eine Birgit Keil hervorgebracht hat, die sich sehr wohl im internationalen Kreis so erlauchter Kolleginnen wie Brigitte Lefèvre (Paris), Monica Mason (London) und Nina Ananiashvili (Tiflis) behaupten kann! Unseren Glückwunsch nach Karlsruhe! Und gleich noch einen weiteren sehr herzlichen Glückwunsch zum morgigen achtzigsten Geburtstag von Renate Braig-Witzel, die in den sechzig Jahren ihrer aktiven Tätigkeit zu einer Institution der Stuttgarter Ballettpädagogik geworden ist und mit den Wintertanztagen und der Ostertanzwoche zu einer internationalen Attraktion für Schüler und Pädagogen aus aller Welt – darunter auch José de Udaeta, der in ihrer Tanz- und Ballettschule in Stuttgart-Zuffenhausen seine deutsche Dependance gefunden hatte, bis sie sich vor ein paar Jahren zur Ruhe setzte. Aber was heißt schon: zur Ruhe setzen für eine, der der Tanz zum Lebenselixier geworden ist – und die darum auch als Ruheständlerin weiterhin ehrenamtlich ihre Begeisterung an die Angehörigen einer Generation weitergibt, die ihre Enkel sein könnten.
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