Natürlich auserlesen!

„Natürliche Auslese“ heißt der neue Abend der Görlitzer Tanztheater-Kompanie

Görlitz, 02/06/2009

Da sitzen sie und sehen uns an. Oder nicht? Und wo sitzen sie denn wirklich, hinter einer weißen Projektionsfläche, die in der Tiefe die Bühne des Görlitzer Theaters hinterm Vorhang begrenzt, oder werden wir getäuscht? Läuft da ein Film? Saßen die Tänzerinnen und Tänzer bei den Aufnahmen genau da, wo wir jetzt sitzen? Dieweil wir noch rätseln, wer wo ist und wer wen von wo aus sieht oder auch nicht, beginnt das Spiel nach der immer wieder verblüffenden Art der Laterna Magica und der Film wird lebendig, die Menschen verlassen die Leinwand und sind da. Und dann, welch schöner Auftakt, fröhlich, locker und gelöst, in überraschenden Abfolgen ganz natürlich wirkender Bewegungen, finden sich acht Mitglieder der Görlitzer Kompanie in Gundula Peutherts Tanztheater „Natürliche Auslese“ zusammen.

Im weiteren Verlauf sind es dann drei Tänzerinnen und vier Tänzer, in einheitlich weißen Gewändern ein wenig der Zeit enthoben, die uns eine wunderbare Stunde lang verblüffen und vor allem immer wieder überraschen und erfreuen. Nach dem so harmonischen Gruppeneinstieg ist einer, René Rosner, schon allein. Keiner will ihn haben, oder alle auf einmal, gut geht’s ihm dabei so oder so nicht, aber wenn er tanzt geht’s besser. Mit raffinierter Filmtechnik wandern Situationen von der Bühne immer wieder ins Görlitzer Stadtbild oder auch in die Umgebung, werden Gipfel erklommen oder verwandelt sich ein schroffes und unwirtliches Felsmassiv zur Kulisse für tänzerische Posen. So geht es auch immer wieder mit dem Spiel, in dem einer oder eine rausfliegen und sich draußen wiederfinden und es eben darauf ankommt, was sie draußen machen oder schlimmstenfalls mit sich machen lassen. Das kann zu einem quicklebendigen und sprungfidelen Herrentrio führen, für das Jan Hodes, Piotr Ozimkowski und Harald Wink kräftigen Szenenapplaus bekommen, oder zu einem zarten Sehnsuchtsduo, in dem die Tänzerinnen Simone Rabea Döring und Maria Zimmermann ihre Kleidung ablegen und sich in berührender Weise verletzlich und schutzlos machen. Das Theater glaubt an Wunder, das des Tanzes zumal, und so werden beide liebevoll und innig von zwei Kollegen anmutig bekleidet.

Krasser Schnitt. Eine wilde Horde ausgelassener Menschen stürmt im Zeitraffer durch die Gegend, Sommer, Sonne, Campingfreude, Grill und Übermut, bei dem am Ende die in die Erde gegrabene Tänzerin Antoinette Helbing vergessen wird. Tänzerisch befreit sie sich in einem Solo aus solchem Albtraum. Immer wieder gelingt es abgeleitet von konkreten Situationen abstrakte Situationen des Tanzes zu schaffen und umgekehrt vom Tanz auf der Bühne über das Mittel filmischer Ergänzung auf die alltäglichen Spielflächen des Lebens zu gelangen. Maria Zimmermann und Jan Hodes begeben sich in einem anmutigen Duo in einen Traum von der Zweisamkeit mit zarten Wendungen und luftig leichten Hebungen um in der Wirklichkeit einer zerbrochenen Beziehung zu erwachen. Simone Rabea Döring ist im Film die unaufhaltsame Langstreckenläuferin und kämpft im Tanz beeindruckend um Momente des Stillstandes. Der Tänzer Piotr Ozimkowski verlässt die Truppe tatsächlich, Tänzerkarrieren sind endlich, dem kraftvollen Mann aus Danzig in Görlitz wird ein sensibles Solo geschenkt, ein bezauberndes Spiel mit den Verwirrungen der Sprache und der Bewegung. Und dann, zum Finale, sind sie doch alle angekommen auf ihrem Gipfel, wozu Harald Wink einen Ballon aufbläst, ihn nicht platzen lässt, sondern uns mit sehr heiteren Klängen, die er kraft der entweichenden Luft dem seltsamen Instrument entlockt, entlässt. Die Choreografin Gundula Peuthert hat mit großem Geschick, in spürbarer Verbundenheit mit der Görlitzer Kompanie, deren Entwicklung nur zu bestaunen ist, ihre vor einigen Jahren in Cottbus entstandene Arbeit zu einem neuen Stück werden lassen. Sie weiß gut mit den individuellen Begabungen der Tänzerinnen und Tänzer umzugehen und führt doch alle zum authentischen Gesamteindruck. Viel herzlicher Applaus und laute Rufe der Zustimmung.

Weitere Aufführungen: 4., 11., 14. Juni

www.theater-goerlitz.de

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