Mozarts Erotik auf der Spur
„Ohne Giovanni. Aber mit Mozart“ von Katja Erdmann-Rajski in Stuttgart
Mit Nicki Liszta etabliert sich ein neuer Name in Stuttgarts freier Tanzszene
Im schön quäkenden Plastikton spielt der junge Mann die Titelmelodie von „Star Wars“ auf seinem Synthesizer, das junge Mädchen röhrt sehr falsch „Born to be wild“ ins Mikrofon. Müde hängen bunte Glühbirnen herum, hinten rechts steht eine Tür ohne Wand, der Boden ist weiß gekachelt. Offensichtlich wird hier gefeiert, aber das Geburtstagskind, die rüstige Rentnerin im strassglitzernden Freizeitanzug, schmeißt die Torte an die Wand. Im Stuttgarter Rotebühltheater hatte „av@tar“ Premiere, die zweite Produktion der jungen Choreografin Nicki Liszta, deren Erstling „zwischen häuten“ im letzten Jahr auf Anhieb den Stuttgarter Theaterpreis für die die beste baden-württembergische Tanzproduktion gewann.
Wieder inszeniert Liszta absurdes, skurriles Tanztheater, mit den drei ebenso faszinierenden Darstellern wie rückhaltlosen Tänzern Britta Gemmer, Diane Marstboom und Robert Skatulla. Es ist die Konstellation aus Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, zwei Frauen und ein Mann, nur sind hier beide Frauen hinter dem Mann her. Der lässt sich hofieren, füttert liebevoll die Dame mit dem zermanschten Kuchen, hangelt sich an das Mädchen heran, als es mit ohrenbetäubendem Donner um Beachtung heischt. Subtil geht der gespielte Wettkampf, bei dem alle drei mit kindlichem Eifer Erster werden wollen, immer wieder in bittere Eifersucht über, zu fröhlicher Akkordeon- oder Folkloremusik findet hier extremes Körpertheater statt, eine Liebesgeschichte mit Lust am Schmerz.
So völlig absurd die Bilder auch manchmal sein mögen (und Nicki Lisztas wilde Imaginationskraft sucht in der Stuttgarter Tanzszene ihresgleichen): das alles wirkt nicht eine Minute gekünstelt. Denn der Tanz ist so unmittelbar, dass man gar nicht fragt, was die Bewegungen wohl symbolisieren, so direkt ist die pure Körperlichkeit: das Auf-den-Boden-Werfen mit voller Wucht, das Gegen-die-Wand-Springen, das Umklammern und wörtliche „Besitzen“ des Anderen oder der zärtliche Stehblues, der unheimlich langsam in Quälen übergeht. Die ältere Dame ziert sich in einem eleganten, skurrilen Solo, das Mädchen malt ein riesiges Transparent mit den Worten „Achtung Wiederholungseffekt“, schließlich versteigert der junge Mann die beiden Psychowracks wortreich und zynisch bei einer Tombola. Hier wird endlich auch der ominöse Titel „av@tar“ ein wenig deutlicher, der den grafischen Stellvertreter eines Menschen in der virtuellen Computerwelt meint: es geht um Rollenspiele, weshalb man hier nie sicher weiß, wer gerade spielt und wer er selbst ist. Nach einer tödlich witzigen Konfrontation geht das muntere Geburtstagsfest weiter.
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