Körperpartituren
„Für Uwe Scholz 2010“ – Paul Chalmers letzter Akt als Ballettdirektor in Leipzig
Vor 25 Jahren hat Uwe Scholz für das Stuttgarter Ballett Pergolesis „Stabat Mater“ interpretiert und dafür nicht unbedingt den Beifall des Publikums gefunden. Zu schwierig, zu spröde erschien seinerzeit das Werk, das sich im Wechselgesang von Sopran und Alt ganz der Klage Mariens ergibt. Und doch besitzt es aller scheinbaren Schlichtheit zum Trotz eine Tiefe, die sich dem Zuschauer wahrscheinlich erst beim wiederholten Sehen wirklich erschließt. Umso verdienstvoller, dass Leipzigs Ballettchef Paul Chalmer gerade diese Choreografie ins Zentrum seiner Bemühungen des Programmabends „Für Uwe Scholz 2009“ rückt – und umso effektiver, dass er dafür eine Ausnahmekünstlerin wie Bridget Breiner interessiert.
An der Seite von Itziar Mendizabal steigert sich die Erste Solistin des Stuttgarter Balletts denn auch hinein in ein Stück, das wiederholt zu erstarren droht und dennoch eine innere Erregung immer spüren lässt. Wie vom Schmerz um den Gekreuzigten überwältigt, krümmen sich die beiden Tänzerinnen. Und wie von einer Last befreit, richten sich Bridget Breiner und Itziar Mendizabal wieder auf, sobald sie sich (wie einst Márcia Haydée und Birgit Keil) gegenseitig Trost spenden: ein geradezu körperliches, ungemein konzentriertes Unterfangen, das in dem blutroten Zackengebirge von Rosalies Bühnenbild eine konstruktive Entsprechung findet.
Doch Bridget Breiner stellt sich nicht nur dem Spitzentanz eines Uwe Scholz. Beim Leipziger Ballett erfüllt sie sich mit ihrer ersten Giselle einen Ballerinentraum, auf den sie vor ein paar Jahren nicht mehr zu hoffen wagte. Doch Christina Bernal, die derzeit beim Stuttgarter Ballett unterrichtet, half ihr wieder auf die Beine – und so kann sie sich ihren Gefühlen hingeben, ohne sich um die technischen Voraussetzungen kümmern zu müssen: von nichts anderem beseelt als von dem brennenden Wunsch, im Schicksal Giselles gänzlich aufzugehen.
Und das tut sie denn auch, fließend in ihren Formen, voller Wahrhaftigkeit und geprägt vom Geist einer Romantik, der sich in jeder Bewegung äußert. Dabei trumpft sie niemals auf, sondern setzt jeden Schritt so sacht, als wollte sie schon im ersten Akt kaum den Boden berühren, den sie wenig später wie im Wahn verlässt: eine Frau, die zwar an ihrem Leben verzweifelt, aber sich selbst im Tode noch zu ihrer Liebe bekennt. Bridget Breiner macht das Unmögliche möglich und tanzt so verloren in einem Traum, wie man sich das von einer Giselle wünscht – vorerst leider nur in Leipzig.
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