Widernatürliche Liaisons?
Am Volkstheater Rostock zeigt Bronislav Roznos zum Abschied vier „Stories4love“
Er sei kein Choreograf, der tanzen lasse um des Tanzens willen, sagt Bronislav Roznos: „Ich erzähle gern Geschichten, auch über Gefühle, aus der Musik entwickelt sich die Inspiration.“ Die Zuschauer in Rostock wissen das zu schätzen und bescheren ihrer neu formierten Kompanie ein bestens besuchtes Haus. Das freut nicht zuletzt Intendant Peter Leonard, denn seit April 2010 ist das Volkstheater Rostock eine GmbH, die eigenverantwortlich mit dem Etat umgehen muss. Schließung der Sparte Tanz ist deshalb kein Thema mehr, auch weil er, wie fast überall, die billigste Sparte ist. Mehr noch zählt indes das Konzept des Tanztheaters Bronislav Roznos.
So nennen sich nach langer, wenig goutierter Dominanz des traditionellen Balletts die zehn Tänzer um Roznos: aus Belgien, Polen, Tschechien, China, Japan, der Mongolei und Deutschland. Nur zwei hat er vom Vorgänger übernommen, denn Roznos braucht Persönlichkeiten, die seine Absichten umsetzen. Sein Bedürfnis, etwas mitzuteilen, ist das Erbe von Pavel Smok, in dessen lange erfolgreichem Prager Kammerballett er nach der Ausbildung am Tanzkonservatorium Brno vier Jahre getanzt hat, ehe er 1990 in die Bundesrepublik kam, nach Ulm und Mannheim.
Mit 28 wurde er 1995 – Deutschlands jüngster – Ballettdirektor in Zwickau, 2000 im fusionierten Theater Plauen-Zwickau, rund 30 Stücke kreierte er dort. Mit Themen von „Medea“, „Morrison“ und „Frida Kahlo“ bis zu „Solo Sunny“ und der über 60 Mal gespielten „Erschaffung der Welt“ schuf er 14 Spielzeiten lang Tanztheater um zeitlose Konflikte und mit starker Resonanz beim Publikum. Ehe er hätte unkündbar werden können, traf ihn die Nichtverlängerung des Vertrages – und ein Anruf von Leonard, ob er Tanztheater in Rostock machen wolle. Für beide, ihn und die Ostseestadt, ein Glücksgriff. Modernen Tanz, sagt Roznos, habe er nicht gelernt, der sei als Erfahrung aus der Arbeit zu ihm gekommen. Inzwischen ist er auch daheim ein gefragter Gast, mit Aufträgen in Brno (Brünn), Plzen (Pilsen) und Prag.
Erste Uraufführung fürs Volkstheater Rostock ist eine Komödie, Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“, Commedia dell’arte von 1745. Mit dem 1958 in Prag entstandenen Ballett hat Roznos’ Fassung freilich nichts mehr zu tun. Sie bleibt zwar im Genre, verhandelt jedoch allgemeinmenschliche Probleme, und das auf höchst vergnügliche Weise. Schon Robert Schrags Bühne ist ein Augenschmaus: Schrägen verbinden drei riesige Masken, wie sie die Darsteller jener Commedia früher trugen, die Masken nun als Wohngrotten für die Charaktere Pantalone nebst Tochter Clarice, Lombardi nebst Sohn Silvio. So fröhlich wie kokett winken die jungen Leute etwa aus dem Maskenauge in die Welt, amüsant, was sich daraus entwickelt.
Truffaldino verdingt sich aus Hunger als Diener des Flüchtlings Florindo und der Beatrice, die sich als Mann ausgibt, um von Pantalone Geld ihres getöteten Bruders zurückzuholen, und auch ihren Geliebten Florindo finden will. Mit leichter Hand hat Roznos die Verwicklungen in Szene gesetzt und unterlegt ihnen spritzige Musik von Dmitri Schostakowitsch bis Nino Rota, meist Kompositionen für den Film, entsprechend plastisch im Gestus, südlich bis südamerikanisch vom Klang her. Wie die Personen sich umschleichen, die Raffgier der Väter fast die falschen Paare fügt, besonders jedoch die Mädchen gewitzt um ihre wahre Liebe kämpfen, erzählt turbulent der erste Teil.
So spielfreudig und behend sich die acht Akteure hier geben, im eifersüchtelnden Umgang mit Florett und Fehdehandschuh, am Ende im verkeilten Liebeskampf, so sehr ändert sich die Atmosphäre im Teil nach der Pause. Auf der einzigen verbliebenen Schräge zwischen den Masken erhellt ein gewaltiger Kandelaber, wie die Paare sich suchen. Ob in der Realität oder im Traum, ist offen. Roznos’ organisch runde Bewegungssprache voller sanfter Impulse und Schwünge, Umheber und Bodenlagen kann sich hier perfekt entfalten. Mit dieser Abfolge zärtlich erfundener Duette auf dem Steg, um ihn und darunter ist ein sinnlich funkelndes Juwel menschlicher Gefühlslagen zwischen Entziehen und Hingabe gelungen, dem man gern länger zuschauen würde, auch wegen des fantasievollen Umgangs mit den Wohnmasken. Goldflimmer fällt nach knapp zwei Stunden auf den quicklebendigen Truffaldino und seine Braut sowie die beiden anderen Paare; den geizigen Vätern bleibt nur, sich im Goldstaub zu wälzen. Rostock darf sich auf mehr Tanztheater freuen, im Sommerfestival und danach.
www.volkstheater-rostock.de
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